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28b. Ulinger.
(Flieg. Bl. 8. 4 Bl. „Ein hübsch Lied von dem Blinger.“ Am Ende: „Gedruckt zu Nürnberg, durch Friedrich Gutknecht.“ Zwischen 1554 und 1580.)
1.
Gut Ritter der reit durch das Ried,

er sang ein schönes Tagelied,
er sang von heller Stimme,
daß in der Burg erklinget.

2.
Die Jungfrau an dem Laden lag,

sie hört gut Ritter singen:
„Ja wer ist der da singet?
mit dem will ich von hinnen.“

3.
‚‚‚O Jungfrau, wöllt ihr mit mir gahn?

ich will euch lernen was ich kann,
ich will euch lernen singen,
daß gegen der Burg thut klingen.‘‘‘

4.
Die Jungfrau in ihr Schlafkammer trat,

ihr gelbes Haar sie in Seiden band,
sie kleidt sich in Silber und rothes Gold
gleich wie Eine die von hinnen wollt.

5.
Er schwang sein grünen Schild neben ihn,

sein schöne Jungfrau hinter ihn,
er eilet also balde
zu einem grünen Walde.

6.
Und da sie in den Wald ein kam,

und da sie leider Niemand fand
dann nur ein weiße Tauben
auf einer Haselstauden:

7.
Ja hör und hör, du Friedburg,

ja hör und hör, du Jungfrau gut!
der Ulinger hat eilf Jungfrauen gehangen,
die zwölft hat er gefangen.

8.
„Ja hör so hör, du Ulinger,

ja hör so hör, du trauter Herr!
was sagt die weiße Tauben
auf jener Haselstauden?“

9.
‚‚‚Ja jene Taube leugt mich an,

sie ficht mich für ein Andern an,
sie leugt in ihren rothen Schnabel;
ach schöne Jungfrau, reit fürbaß!‘‘‘

10.
Er breit sein Mantel in das Gras,

er bat sie, daß sie zu ihm saß;
er sprach: sie sollt ihm lausen,
sein gelbes Haar zerzausen!

11.
Er sach ihr unter die Augen da:

‚‚‚Was weinet ihr, schöne Jungfrau?
weint ihr um euern traurigen Mann?
ich hab euch nie kein Leids gethan.‘‘‘

12.
„Ich wein nicht um mein traurigen Mann,

ihr habt mir nie kein Leids gethan,
ich sich dort einher reiten
ein große Schaar mit Leuten.

13.
„Ja willt du zu ihn reiten,

oder willt du mit ihn streiten?
oder willt du von der Liebe stahn,
dein Schwert zu beiden Händen han?“

14.
‚‚‚Ich will nicht zu ihn reiten,

ich will nicht mit ihn streiten,
ich will wol bei der Liebe stahn,
mein Schwert zu beiden Händen han.‘‘‘

15.
Sie reit ein wenig baß hindan,

und da sie leider Niemand fand
dann nur ein hohe Tannen,
daran eilf Jungfrauen hangen.

16.
Sie wand ihr Händ, rauft aus ihr Haar,

sie klagt Gott ihr Leid offenbar:
„Ich bin so ferr in tiefem Thal,
daß mich kein Mensch nit hören mag.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort. Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin, Berlin 1856, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Liederhort_(Erk)_093.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2019)