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Tages zwei Taufbecken zeigt, mit der Inschrift:

„in deze twee beckens zyn alle deze kinderen ghedoopt;“ und auf einer dabei hangenden Tafel stehet in lateinischen und niederländischen Versen das Andenken einer Begebenheit erhalten, wovon die Volkssage, wie folgt, berichtet. Vor alten Zeiten lebte in dem Dorfe eine Gräfin, Margaretha nach einigen, Mathilde nach anderen geheißen, Gemahlin Grafen Herrmanns von Henneberg. Auch wird sie blos „die Gräfin von Holland“ genannt. Zu der kam einst ein armes Weib, Zwillinge auf dem Arm tragend, und sprach um ein mildes Almosen an. Die Gräfin aber schalt sie aus und sprach: „packt euch, unverschämte Bettlerin! es ist unmöglich, daß ein Weib zwei Kinder auf ein Mal von einem Vater habe!“ Die arme Frau versetzte: „so bitte ich Gott, er lasse euch so viel Kinder auf ein Mal bringen, als das Jahr Tage hat!“ Hernach wurde die Gräfin schwanger, und gebar auf Einen Tag zur Welt dreihundert fünf und sechzig Kinder. Dies geschah im Jahr 1270 (1276)im 42sten Jahre der Gräfin. Diese Kinder wurden alle lebendig getauft von Guido, Bischof zu Utrecht, in zwein messingenen Becken, die Söhnlein Johannes, die Töchterlein Elisabeth sämmtlich genannt. Sie starben aber alle auf Einen Tag mit ihrer Mutter, und liegen bei ihr in einem Grab in der Dorfkirche. – Auch in der Delfter Kirche soll ein Denkmal dieses Ereignisses vorhanden seyn.


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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_395.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)