Haare mit der Hand hinter die Schulter, und
sprach – indem einige Umstehende mit Schlägen droheten:
verschont mich mit Schlägen, ich habe ihrer
genug ausgehalten, und erkennt euren Udalrich! Das
Volk hörte die Stimme des alten Herrn, und erkannte
sein Gesicht unter den wilden Haaren. Laut
schrie ihm alles zu. Wendilgart war, gleichsam beschimpft,
zurück getreten: jetzt erst empfinde ich meines
Gemahls gewissen Tod, da mir jemand Gewalt
zu thun wagt. Er aber reichte ihr die Hand um sie
aufzuheben, an der Hand sah sie eine ihr wohlbekannte
Wundennarbe. Wie vom Traum erwachend,
rief sie: „mein Herr, den ich auf der Welt am liebsten
habe, willkommen mein liebster Gemahl!“ Und
unter Küssen und Umarmungen „kleidet euern Herrn
und bereitet ihm ein Bad zu!“ Als er angezogen
war, sagte er: „laß uns zur Kirche gehen.“ Unter
dem Gehen sah er ihren Schleier und fragte: wer
hat dein Haupt eingeschleiert? Und als sie antwortete
„der Bischof in der Kirchenversammlung“ sprach
Udalrich zu sich selbst: nun darf ich dich erst mit
der Kirche Erlaubniß umarmen. Geistlichkeit und Volk
sangen Loblieder; darauf ging man ins Bad und zur
Mahlzeit. Bald versammelte sich die Kirche, und Udalrich
forderte seine verlobte Gemahlin zurück. Der
Bischof löste ihr den Schleier, und verschloß ihn im
Schrein: damit, wann ihr Gemahl früher verstürbe,
sie ihn wieder nehmen sollte. Die Hochzeit wurde
von neuem gefeiert, und als Wendilgart sich nach
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_280.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)