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Krone von Ottos Haupte in den Saal fiel; und zuckte – als die Fürsten, den Kaiser von diesem wüthenden Menschen zu befreien, herzusprangen - sein Messer, indem er laut ausrief: „keiner rühre mich an, oder der Kaiser liegt todt hier!“ Alle traten hinter sich, Otto, mit großer Noth winkte es ihnen zu; der unverzagte Heinrich aber sprach: „Kaiser, wollt ihr das Leben haben, so thut mir Sicherheit, daß ich genese.“ Der Kaiser, der das Messer an seiner Kehle stehen sah, bot alsbald die Finger in die Höhe, und gelobte dem edlen Ritter bei kaiserlichen Ehren, daß ihm das Leben geschenkt seyn solle.

Heinrich, sobald er diese Gewißheit hatte, ließ er den rothen Bart aus seiner Hand und den Kaiser aufstehen. Dieser setzte sich aber ungezögert auf den königlichen Stuhl, strich sich den Bart, und redete in diesen Worten: „Ritter, Leib und Leben hab ich euch zugesagt; damit fahrt eurer Wege, hütet euch aber vor meinen Augen, daß sie euch nimmer wieder sehn, und raumet mir Hof und Land! ihr seyd mir zu schwer zum Hofgesind, und mein Bart müsse immerdar euer Scheermesser meiden!“ Da nahm Heinrich von allen Rittern und Bekannten Urlob, und zog gen Schwaben auf sein Land und Feld, das er vom Stifte zu Lehen trug; lebte einsam und in Ehren.

Danach über zehn Jahre begab es sich, daß Kaiser Otto einen schweren Krieg führte, jenseit des Gebirges, und vor einer festen Stadt lag. Da wurde er nothhaft an Leuten und Mannen, und sandte heraus

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)