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131.
Seeburger See.
Neues hanöv. Magazin 1807. St. 13. u. St. 40.

Zwei kleine Stunden von Göttingen liegt der seeburger See. Er vermindert sich jährlich, ist jetzt 30–40 Fuß tief und von einer guten halben Stunde Umkreis. In der Gegend sind noch mehr Erdfälle und gefährliche Tiefen, die auf das Daseyn eines unterirdischen Flusses vermuthen lassen. Die Fischer erzählen folgende Sage.

In alten Zeiten stand da, wo jetzt der See ist, eine stolze Burg, auf welcher ein Graf, Namens Isang, wohnte, der ein wildes und gottloses Leben führte. Einmal brach er durch die heiligen Mauern des Klosters Lindau, raubte eine Nonne und zwang sie, ihm zu Willen zu seyn. Kaum war die Sünde geschehen, so entdeckte sich, daß diejenige, die er in Schande gebracht, seine bis dahin ihm verborgen gebliebene Schwester war. Zwar erschrack er und schickte sie mit reicher Buße ins Kloster zurück, aber sein Herz bekehrte sich doch nicht zu Gott, sondern er begann aufs neue nach seinen Lüsten zu leben. Nun geschah es, daß er einmal seinen Diener zum Fischmeister schickte, einen Aal zu holen, der Fischmeister aber dafür eine silber-weiße Schlange gab. Der Graf, der etwas von der Thier-Sprache verstand, war damit gar wohl zufrieden, denn er wußte, daß, wer von einer solchen Schlange esse, zu allen Geheimnissen

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_237.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)