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Hebamme folgte ihr, nahm das Geld aus dem Schrank und, weil es ihrer Habsucht nicht genug war, suchte sie noch weiter in andern Gefächern. Diesen Augenblick benutzte die Müllerin, trat schnell hinaus und schloß die Thüre fest zu, und da vor den Fenstern starke eiserne Gitter standen, so war die Hebamme in der Kammer eingefangen. Nun rief die Frau ihr siebenjähriges Söhnlein und sprach: „eil dich und lauf zum Vater in die Kirche, ich bät ihn, eilends mit seinen Knechten heimzukommen, ich wär in großer Gefahr.“ Das Kind lief fort, aber nicht weit von der Mühle traf es auf den Mann der Hebamme, der verabredetermaßen kam, den Raub fortzutragen. Als er das Kind sah, faßte er’s und riß es mit sich zur Mühle zurück. Die Müllerin, die, ihren Mann erwartend, am Fenster stand, sah ihn kommen, verschloß alsbald die Hausthüre und schob alle Riegel vor. Als der Mann heran war, rief er, sie sollte ihm die Thüre öffnen und, da sie es nicht that, stieß er wüthend dagegen und hoffte sie einzutreten. Die Müllerin schrie nun mit allen Kräften zu einem Fenster hinaus nach Hülfe, aber, weil die Mühle zu fern, auch mit Gebüsch umwachsen lag, ward sie von niemand gehört. Indeß wich die Thüre den Stößen des Mannes nicht und da er sah, in welche Gefahr er und seine Frau gerathe, wenn er sich so lang aufhalte, bis der Müller aus der Kirche komme, zog er sein Messer und rief der Müllerin: „wo ihr nicht gleich öffnet, so stech ich das Kind vor euern Augen nieder und zünde die Mühle euch über

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_230.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)