Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V1 214.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

gewiß noch zu Theil werden. Die Jungfrau, die das gern hörte, fragte, wie sie das wissen könne? „Ei, Fräulein, sprach die Alte, ich habe die Gnade von Gott, zukünftige Dinge vorher zu entdecken, darum kann mir dieses so wenig, als viel anderes, verborgen seyn. Euch allen Zweifel zu benehmen, will ich euch, wie es damit gehen wird, in einem Krystall so klärlich weisen, daß ihr meine Kunst loben sollt. Aber wir müssen eine Zeit dazu wählen, wo eure Eltern nicht daheim sind; dann sollt ihr Wunder sehen.“

Die Jungfrau wartete, bis ihre Eltern auf ein Landgut gefahren waren und ging dann zu dem Lehrer ihres Bruders, dem Johann Rüst, der hernach als Dichter berühmt geworden, vertraute ihm ihr Vorhaben und bat ihn gar sehr, mit zu gehen und dabei zu seyn, wenn sie in den Krystall schaue. Dieser suchte ihr einen solchen Vorwitz als sündlich auszureden, der Ursache zu großem Unglück werden könne; aber es war vergeblich, sie blieb bei ihrem Sinn, so daß er sich endlich auf ihr inständiges Bitten bewegen ließ, sie zu begleiten. Als sie in die Kammer traten, war das alte Weib beschäfftigt, ihre Geräthschaften aus einem kleinen Korbe herauszuziehen, sah aber ungern, daß dieser Rüst die Jungfrau begleitete und sagte, sie könne ihm an den Augen absehen, daß er von ihrer Kunst nicht viel halte. Hierauf hub sie an und breitete ein blau seiden Tüchlein, darein wunderliche Bilder von Drachen, Schlangen und anderm Gethier eingenäht waren, über die Tafel, setzte auf dieses Tuch

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_214.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)