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J. Fölsche: Kettenschiffahrt auf der Elbe und auf der Seine. In: Deutsche Bauzeitung, 1. Jg. 1867, S. 306–307 und S. 314–316

diesem Projekte, aus ähnlichen Gründen wie die vorhergenannten, wieder ab. –

In demselben Jahre gestattete ein anderes kaiserliches Dekret dem Herrn Hercé die Gründung einer Gesellschaft für die Kettenschiffahrt auf der oberen Seine, die unter Führung des Herrn Callon während der letzten 10 Jahre einen blühenden Verlauf genommen hat und jetzt das Treideln auf dem ganzen Fluss zwischen Montereau und Paris, auf einer Strecke von nahezu 15 Meilen, besorgt.

Der grosse Vortheil, den das System der Touage gewährt gegenüber der Dampfschiffahrt, welche sich der Kraft der Räder oder Schaufeln im flüssigen Medium bedient, ist die Schaffung eines festen Angriffspunktes, der durch die kontinuirliche, in den Stromstrich des Flusses versenkte Kette geboten wird. Dieselbe ist in der Elbe, auf der Strecke zwischen der Neustadt und Buckau, in einer Länge von ca. 3/4 Meilen gelegt; sie ist eine englische Ankerkette gewöhnlicher Konstruktion aber bester Qualität, von 7/8″ oder 22 mm Eisenstärke und besteht aus einzelnen Gliedern, welche für die etwa eintretende Nothwendigkeit einer Verlängerung oder Verkürzung mit Schlossgliedern verbunden sind. An dieser Kette bewegt sich nun das Dampfschiff stromauf- oder abwärts. — Die Maschine desselben dreht nämlich zwei Trommeln aus gusseisernen Scheiben, welche mit Stahlreifen armirt und zwischen jedem Kettenlauf mit schmiedeeisernen Rändern versehen sind. Die Kette ist auf dem Toueur der Elbe 4 Mal, auf dem der Seine 5 Mal um die Trommeln geschlungen und selbst bei dieser Vorsicht pflegt sie auf der Seine bei besonders starken Zügen noch zu rutschen, während dies auf der Elbe, wo man höchstens 3 Kähne zugleich treidelt, nicht vorkommt. Indem die Maschine die Kettentrommeln dreht, windet sich einerseits die Kette aus dem Flussbette und wird andererseits wieder abgewickelt und nachdem sie über das Deck des Schiffes passirt ist, in den Fluss zurückgelegt. Das Dampfschiff zieht sich aber an der Kette stromaufwärts und schleppt den ganzen Convoi mit einer Geschwindigkeit von 340 Fuss per Minute gegen den Strom. Stromabwärts geht das Schiff in schnellerem Laufe, ohne Convoi, mit einer Geschwindigkeit von 475′ engl. (145 m) per Minute.

Wenn die Toueurs eine Biegung des Flusses durchfahren, so hat die Kette eine stete Neigung sich auf die innere Seite der Kurve zu legen. Das aufwärts gehende Boot verändert die Krümmung, welche der geraden Linie mehr und mehr genähert wird. Diese Aenderung würde für das folgende Boot nicht zweckmässig sein, wird aber dadurch ausgeglichen, dass das nächste, abwärts gehende Boot, welches mit verhältnissmässig schlaffer Kette zurückkehrt, weil abwärts nicht getreidelt wird, mit einer grösseren Schwenkung die Kette in die Mitte des schiffbaren Flussbettes zurücklegt.

Es möchte hiernach schwierig erscheinen, einen grossen Verkehr mit verschiedenen Schiffen an einer kontinuirlichen Kette zu bewältigen, aber es bleibt zu bedenken, dass jeder Toueur nur auf einer Abtheilung arbeitet und niemals an dem anderen vorbeipassirt. Der Convoi wird von einem aufwärts gehenden Toueur so lange in’s Schlepptau genommen, bis derselbe einen abwärts kommenden Toueur antrifft, welcher einen früheren Convoi an seinen Bestimmungsort geführt hat, jetzt aber den ihm entgegengebrachten Zug übernimmt.

Das Dampfschiff auf der Elbe besteht mit Ausnahme des Verdeckes aus Eisenblech, es hat vor und hinter der Maschine eine wasserdichte Wand und hat bei einer Länge von 170′ (51,3 m), eine Breite von 22′ englisch (6,7 m) und geht in vollständiger Ausrüstung nur 17″ engl. (177 mm) tief. Die Dimensionen eines Kettenschiffes auf der Seine „La ville de Sens“ sind dagegen folgende: Länge 131′, Breite 23′, Tiefe des Kielraums in der Mitte 6′ 10″, an den Enden 4′, Länge des Kessels 20′, bei 4′ Durchm., Durchmesser der Kettentrommel 3′ 7″, Axendistance der Trommeln 8′ 3". Bei dem Elbschiffe sind die Trommelrollen wie 49 : 89 vorgelegt und der Bergfahrt angepasst, die Maschine muss daher bei der Thalfahrt um so viel schneller gehen, als es die grössere Strömung verlangt. Auf der Seine sind die Trommeln der Toueurs bei der Bergfahrt wie 2,25 : 1, bei der Thalfahrt wie 93 : 100 vorgelegt und die Vorgelege werden bei der Thal- oder Bergfahrt aus- und eingerückt, so dass das Schiff einen rascheren oder langsameren Gang ohne Vergrösserung oder Verminderung der Geschwindigkeit der Maschine annimmt.

Die Toueurs sind mit einem Steuerruder an dem Hintertheile und einem an der Spitze des Schiffes versehen, die gemeinschaftlich von der Mitte des Verdeckes aus gesteuert werden. Die aus dem Flusse emporsteigende und am anderen Ende des Schiffes herabsinkende Kette wird durch bewegliche Ausleger gestützt. Diese Arme sind in horizontaler Ebene um ca. 90 Grad drehbar, wodurch die Steuerfähigkeit des Schiffes, unabhängig von der Lage der Kette, in einer gewissen Grenze bewirkt wird und die Lage der Kette in dem Flusse verändert werden kann. Zu bemerken ist noch, dass die beiden Kessel des Toueurs nicht in der Mitte, sondern ausserhalb der Kiellinie, auf entgegen gesetzten Seiten des Schiffes liegen, damit die Dampfdome und Schornsteine nicht mit der Rinne kollidiren, in welcher die Kette über das Verdeck des Schiffes läuft. Die Rinnen, Rollen und alle Theile, welche mit der Kette in Berührung kommen, sind in Frankreich von Holz, mit Ausnahme der Windetrommel. –

Die Boote haben Kondensationsmaschinen und arbeiten mit 65 Pfd. Dampfdruck, sie gebrauchen nur 2 Ztr. Steinkohlen

Empfohlene Zitierweise:
J. Fölsche: Kettenschiffahrt auf der Elbe und auf der Seine. In: Deutsche Bauzeitung, 1. Jg. 1867, S. 306–307 und S. 314–316. Carl Beelitz, Berlin 1867, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Bauzeitung_1867_p315.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)