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der Mensch auf diesem Umwege wenigstens zu etwas Gehalt. Der starke Glaube des Mittelalters verlieh auf diese Weise der ganzen Epoche allerdings eine bedeutende Energie, aber eine Energie, die nicht von Aussen kam, sondern schon in der menschlichen Natur lag, wenn auch noch unbewusst, noch unentwickelt. Der Glaube wurde allmählig schwach, die Religion zerbröckelte vor der steigenden Kultur, aber noch immer sah der Mensch nicht ein, dass er sein eignes Wesen als ein fremdes Wesen angebetet und vergöttert hatte. In diesem bewusstlosen und zugleich glaubenslosen Zustande kann der Mensch keinen Inhalt haben, muss er an der Wahrheit, an der Vernunft und Natur verzweifeln, und diese Hohlheit und Inhaltslosigkeit, die Verzweiflung an den ewigen Thatsachen des Universums wird so lange dauern bis die Menschheit einsieht, dass das Wesen, was sie als Gott verehrt hat, ihr eignes, ihr bisher unbekanntes, Wesen war, bis - doch was soll ich Feuerbach abschreiben.

Die Hohlheit ist längst da gewesen, denn die Religion ist der Akt der Selbstaushöhlung des Menschen; und Ihr wundert Euch, dass sie jetzt, nachdem der Purpur, der sie verdeckte, verblichen, nachdem der Dunst, der sie einhüllte, gestorben ist, dass sie jetzt zu Eurem Schrecken ans Tageslicht tritt?

Carlyle klagt ferner - dies ist die nächste Folge aus dem Vorhergehenden - das Zeitalter der Heuchelei und der Lüge an. Natürlich, die Hohlheit, und Entnervung muss doch durch Staffage, ausgestopfte Gewänder und Fischbeinschienen anständig verhüllt und aufrecht gehalten werden. Auch wir greifen die Heuchelei des jetzigen christlichen Weltzustandes an; der Kampf gegen sie, unsere Befreiung von ihr und die Befreiung der Welt von ihr sind am Ende unser einzig Tagewerk; aber weil wir durch die Entwickelung der Philosophie zur Erkenntniss dieser Heuchelei gekommen, und weil wir den Kampf wissenschaftlich führen, darum ist uns das Wesen dieser Heuchelei nicht mehr so fremd und unverständlich, wie es für Charlyle allerdings noch ist. Diese Heuchelei führen wir auch auf die Religion zurück, deren erstes Wort eine Lüge ist - oder fängt die Religion nicht damit an, dass sie uns etwas Menschliches zeigt und behauptet, das sei etwas Uebermenschliches, Göttliches? Weil wir aber wissen, dass alle diese Lüge und Unsittlichkeit aus der Religion folgt, dass die religiöse Heuchelei, die Theologie der Urtypus aller andern Lügen und Heuchelei ist, so sind wir berechtigt, den Namen der Theologie auf die gesammte

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Engels: Die Lage Englands. In: Deutsch-Französische Jahrbücher. Bureau der Jahrbücher, Paris 1844, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsch_Franz_Jahrb%C3%BCcher_(Ruge_Marx)_174.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)