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Walther Kabel: Der vergiftende Garten (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 1)

hatten, wegzuschneiden. Ferner hatte man bemerkt, daß die Kinderfrau, die, während das ihr anvertraute Kind im Hofe umherlief, gewöhnlich in jener Laube saß, am häufigsten und empfindlichsten von jenem Ausschlage ergriffen wurde, das Kind hingegen, welches nur selten hineintrat, fast ganz davon befreit blieb. Die einzige Person im Hause, welche von jener Krankheit immer verschont blieb, war die Köchin, die fast nie den Garten betrat. Alle diese Beobachtungen zusammengenommen warfen also den größten Verdacht auf jenen sogenannten wilden Wein, und man beschloß, ihn ganz auszurotten. Dies geschah. Die Laube wurde an jener Stelle mit jungen Buchen umpflanzt, und seitdem hörte die Krankheit völlig auf.

Nur einmal zeigte sie sich wieder, und zwar bei folgender Gelegenheit: Im nächsten Sommer, nachdem die Ausrottung geschehen war, saß eine kleine Gesellschaft in der Laube. Eine junge Dame bemerkte unter der Bank zwischen den Steinen einen kleinen Schößling jenes Gewächses, der sich von dem ausgerotteten Stamme noch erhalten hatte, brach ihn ab und zeigte ihn den übrigen Personen. Sie bemerkte schon am nächsten Tage Blasen an den Fingern, die sich über den ganzen Arm verbreiteten und sogar den anderen Arm mit ergriffen, sich jedoch nach einigen Tagen wieder verloren.

Da der sogenannte wilde Wein (Vitis quinquefolia), dessen man sich zur Bekleidung der Lauben und Gartenwände bedient, ein ganz unschädliches Gewächs ist, so fragte man einen benachbarten Arzt nach dem wahren Namen jenes vergiftenden Strauches, und eine genauere Untersuchung zeigte, daß es der sogenannte Giftsumach (Giftrebenstrauch, Rhus toxicodendron[1]) war. Dieser Giftbaum ist zwar ursprünglich in Nordamerika einheimisch, aber in England und Deutschland schon seit geraumer Zeit bekannt. Der erzählte Fall ist einer der ersten, durch welchen man in Deutschland auf seine giftigen Eigenschaften aufmerksam wurde.

Der Giftsumach hat einen schwachen, doch holzigen Stamm, der drei bis acht Fuß hoch wird und viele schlanke, mehr oder weniger gebogene und gewundene Zweige treibt.


  1. Vorlage: toxicondendrum. Siehe Wikipedia: w:Eichenblättriger Giftsumach
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Walther Kabel: Der vergiftende Garten (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 1). Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Stuttgart, Berlin, Leipzig 1909, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_vergiftende_Garten.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)