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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

Konjunktur, nie der Vorteil, nie ein niedriger Zweck, was sein Verhalten bestimmte. Im Gegenteil! Er hatte die Neigung, jede Meinung zu verlassen, sobald die Aussicht bestand, daß sie allgemeine Meinung werden konnte. Er mißtraute dem Erfolge. Jeder, der allgemein Beifall erntete, wurde ihm verdächtig. Er entschied sich immer nach moralischen Gesichtspunkten. Auch wo er sich verrannte, war er doch eisern davon überzeugt, daß er und er allein im Rechte sei.

Er war genialisch eitel. Eine advokatorische, diplomatische, theatralische Intelligenz. Völlig konkret, völlig praktisch. Nie und nimmer philosophisch. Seine Geistigkeit war festgelegt auf Tag und Stunde. Er opferte die Welt der Ewigkeit an den Augenblick und schrieb ein Feuilleton für irgendeinen einmaligen und dann vergessenen Zweck mit einem Ernst und mit einer Inbrunst, die für ein dickes Lebenswerk ausgereicht hätten. Seine Art des Arbeitens und Handelns hatte etwas kätzchenhaft Spielerisches. Der Stil und die Gedankenwelt anderer zeitgenössischer Politiker, etwa Rocheforts oder Clemenceaus, plumpten auf Elefantenfüßen daher, wenn man sie mit Hardens schmetterlingsleichten Sätzen verglich. Er schien immer nur Mosaiken zu legen, schien aus tausend Klexchen und Pünktchen ein Bildchen zu stricheln. Man hätte wähnen können, daß er in Zettelkästen Material sammle und den sonderlichen Stolz habe, dieses oder jenes Detail als Einziger zu kennen oder von etwas zu wissen, bevor noch ein anderer die Tatsache gekannt hat.

Diese praktisch politische Klugheit findet sich wohl in sehr verschiedenen Berufen und Schichten. In ihren

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/177&oldid=- (Version vom 31.7.2018)