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Schattenstrich des Mastes. Von dem Segel kroch das Licht weiter abwärts, und nach einer weiteren halben Minute waren Boot und Mannschaft in ihm gebadet. Ich schaute rückwärts, um die Ursache dieser Erscheinung zu ergründen – da sah ich den vollen Mond über den fernen Baumwipfeln emporschweben, um das vierfache vergrößert und rötlich orangegelb gefärbt durch den Nebeldunst, der vom Flusse aufzusteigen begann.

Unter der zauberischen Wirkung des Mondlichtes erschien der mächtige Fluß mit seinem Hintergrund von Wald und Dschungeln, die sich geisterhaft über die webenden Nebel und die schimmernden schnellfließenden Wasser erhoben, als ein Bild von so seltsam traumhafter Schönheit, daß Worte es nicht zu beschreiben vermögen.

Ich muß jedoch gestehen, daß meine Bewunderung ganz erheblich abgekühlt wurde, als Mr. Austin mir erklärte, daß der Dunst, der der Flußlandschaft soviel Reiz verlieh, nur der Vorläufer jenes mit tödlichen Miasmen[ws 1] erfüllten Nebels sei, der den Kongo zu einem für Europäer so gefährlichen Strom macht. Ich war daher recht froh, als wir uns drei Viertelstunden später wieder langseit des „Wolf“ und auf der dunstfreien See befanden. Unsre Beute, die Antilope und die Bananen, wurde an Bord der Korvette hochwillkommen geheißen; die Früchte wurden am Besansbaum aufgehängt, um noch nachzureifen, das erlegte Tier aber händigte man dem Koch ein, der es auf der Stelle abziehen und ausweiden mußte. Am folgenden Tage erfreuten sich alle Mann, achtern sowohl wie vorn, des ungewohnten Luxus, saftigen Wildbraten zu Mittag vorgesetzt zu erhalten.

Nachdem der erste Leutnant dem Skipper Bericht über die Bootsfahrt erstattet und gemeldet hatte, daß sich keine Schiffe im Flusse befänden, gingen wir noch an demselben Abend Anker auf und kreuzten unter mäßiger Leinwand die ganze Nacht vor der Mündung hin und her.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hippokrates von Kos (um 460–375 v. Chr.) gilt als Begründer der Lehre von den Miasmen, der giftigen Ausdünstungen des Bodens, die mit der Luft fortgetragen werden und so zur Weiterverbreitung von Krankheiten beitragen sollten. Noch im 19. Jahrhundert schrieben Mediziner und Forscher, mangels Wissens über Bakterien und Viren, Seuchen üblen Gerüchen zu, die über Miasmen verbreitet würden. Diese Theorie erwies sich später als Irrweg der Medizin, obgleich das Modell der Miasmen teils bereits erklärte, woher Seuchen kommen und wie sie sich verbreiten. Quelle: Wikipedia.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/23&oldid=- (Version vom 31.7.2018)