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Adressaten zugehen. Alle übrigen Sendungen waren, teils in geschlossenen Kuverts, teils in Paketen an Vertrauensleute expediert worden und von der Beschlagnahme nicht betroffen worden. Daß ausgesucht Reichstags- und Landtagsabgeordnete durch die Militärzensur, unter Geheimhaltung der Nichtablieferung, einer so wichtigen Informationsquelle beraubt werden konnten, damit hatte ich nicht gerechnet.

Wenn ich jetzt meinen damaligen „Bericht“ aufs neue herausgebe, so bewegt mich dazu, nächst dem Wunsch die Wahrheit über die Vorgänge in der Türkei bekannt zu machen, derselbe Grund, der mich bei der ersten Versendung bestimmte: die unsagbare Not der überlebenden Reste des armenischen Volkes, das fast nur noch aus bettelarmen Waisen, Witwen, Greisen und Elenden besteht, lindern zu helfen. Mag auch mit der Zeit darauf zu rechnen sein, daß die neubegründete armenische Republik, die 7 Monate nach dem Waffenstillstand auch heute noch weder ihre Grenzen noch ihre Existenzbedingungen kennt, diese Unglücklichen wieder in ihrer Heimat lebensfähig machen und die zwangsweise Islamisierten wieder zum Christenglauben zurückführen kann, so handelt es sich doch um eine halbe Million ausgeplünderter, heimatloser, überallhin versprengter Frauen, Mädchen, Kinder, deren Familien auseinandergerissen, deren Männer und Väter erschlagen, deren Mütter verhungert sind und denen sobald als möglich geholfen werden muß, wenn wenigstens dieser Rest am Leben bleiben soll. So schlimm es in unserm eigenen Vaterlande aussieht, an diesen Völkermord, den die Jungtürken auf dem Gewissen haben, reicht selbst unser Elend nicht heran. Wohl ist es allgemeine Menschen- und Christenpflicht – und Amerika hat damit den Anfang gemacht – dem armenischen Volke zu seinem Aufbau die Hand zu reichen. Aber wir Deutsche, obwohl wir die Beschuldigung einer Mitverantwortung von uns weisen, wollen umsomehr die Ehrenpflicht auf uns nehmen, für die Opfer der Schandtaten unseres Bundesgenossen einzustehen. Wir wissen, was es heißt, nicht nur

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite XXVIII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/31&oldid=- (Version vom 31.7.2018)