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der Wissenschaft und des praktischen Lebens“ beigezählt wird, die einen solchen Blödsinn schreiben konnte, wie ihn das sogenannte Gutachten des alten Judenforschers darstellt. Es ist unbegreiflich, wie die Staatsbürger-Zeitung diesen Unsinn abdrucken konnte, während der Verfasser des „Gutachtens“ selbst noch so viel Schamgefühl besitzt, daß er es nicht wagte, seinen Namen der Öffentlichkeit preiszugeben. Ist der Inhalt des Gutachtens ernst gemeint, dann ist der Verfasser auf dem geraden Wege ins Irrenhaus, wollte er sich aber mit seinem „Gutachten“ einen Scherz erlauben, dann hätte er gut daran gethan, vor Abfassung desselben erst einige Zeit in der Schule von Leo Taxil Unterricht zu nehmen.

Mit Fug und Recht dürfen wir auch das Gutachten des technischen Beamten und alten Judenforschers in seiner Art eine Leichenrede auf den Ritualmord-Aberglauben nennen, und eine Weissagung, daß dem Ritualmord-Aberglauben auch der Antisemitismus in das Grab nachfolgen wird, denn mit der Erlösung Israels vom Wunderrabbi wird die Hauptanklage gegen die Juden beseitigt, die Staatsbürger-Zeitung reichlich dotiert, der Antisemitismus nicht mehr nötig sein.

Der letzte Leidtragende, den uns die Staatsbürger-Zeitung als „Kenner der rabbinischen Litteratur“ vorführt, zeigt sich gleich am Anfange seines „Gutachtens“ über den jüdischen Blutmord als „hervorragender Mann der Wissenschaft und des praktischen Lebens“ dadurch, daß er nicht einmal weiß, in welcher Meinung man sich in der Ritualmord-Frage auf die Heilige Schrift zu berufen pflegt. Er behauptet nämlich, die Einwendung, es gebe keinen Ritualmord, weil in der Heiligen Schrift des Alten Testaments der Blutgenuß verboten sei, beweise nichts, denn mit demselben Rechte könnte man dann auch folgern, daß noch niemals ein Jude gestohlen oder betrogen habe, weil das mosaische Gesetz Diebstahl und Betrug untersage. Doch darum handelt es sich nicht, ob ein einzelner Jude eine That begehen könne oder begangen habe, die in der Heiligen Schrift des Alten Testaments verboten ist, sondern das ist die Frage, ob in der Heiligen Schrift des Alten Testaments Anhaltspunkte dafür gegeben seien, daß die Tötung eines Menschen und der Genuß des Blutes desselben als eine religiöse Handlung gestattet oder angeraten werde. Und in derselben Absicht zieht man auch den Talmud heran, indem man fragt, ob in dem

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/92&oldid=- (Version vom 31.7.2018)