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immer und immer wieder in den Molochismus, d. h. in die Opferung der menschlichen Erstgeburt zurückfielen. Wie weit unter den modernen Juden dieser Fanatismus noch verbreitet ist, und ob seine Anhänger sich innerhalb des Judentums etwa zu einer besonderen Sekte zusammengeschlossen haben, das läßt sich zur Zeit noch nicht beantworten.“

Dr. Giese hält also nach diesem Erklärungsversuch jene Mordthaten unter bestimmten Erscheinungen, die man als Ritualmorde bezeichnet und als deren Urheber man Juden vermutet, für Ausgeburten des Fanatismus und des Aberglaubens. Da solcher Fanatismus und Aberglaube einzelner aber dem ganzen Judenvolke nicht zur Last gelegt werden darf, so kann man auch, wie Dr. Giese ganz richtig sagt, nicht von Ritualmord sprechen, und, um sich nicht mit der Verpflichtung zu belasten, den rituellen Charakter fraglicher Fälle zu beweisen, will er dieselben lieber als jüdische Blutmorde bezeichnet wissen. Über ihnen ist noch ein Dunkel gelagert, das der Aufhellung harrt.

Ich glaube kaum zu irren, wenn ich annehme, daß dieses Gutachten trotz seines größeren Umfanges den Fragestellern ebensowenig wie die Antwort Dr. Steffens gefallen haben wird, denn wenn Dr. Giese dem jüdischen Blutmord den rituellen Charakter nimmt, und ihn als widergesetzliche Mordthaten einzelner Juden aus Fanatismus und Aberglauben bezeichnet, dann dürfen wir mit vollem Rechte sagen, daß sein Gutachten eine Leichenrede auf den Glauben an den jüdischen Ritualmord ist.

Auf den Schriftsteller folgt wieder ein Redakteur (Nr. 398), H. Böckler in Berlin, der die Ritualmord-Frage von einer neuen Seite auffaßt. Schon seit längerer Zeit, sagt er, hat man versucht, die Ritualmord-Frage auf ein totes Geleise zu schieben, indem man sie dahin zuspitzte, daß man fragte, ob es beweisbar oder möglich sei, daß die Juden das Blut ermordeter Christenkinder genießen, während die Hauptfrage doch diese ist: „Giebt es Juden, die aus Gründen, die mit dem zusammenhängen, was ihnen ihre Religion ist, Morde zu begehen, für erlaubt oder gar für geboten halten?“ Zahlreiche Fälle solcher Mordthaten aus früheren Jahrhunderten sind nachgewiesen, aber man hat die Christen, welche deswegen Anklagen gegen die Juden erhoben, für Narren und Schurken ausgegeben und jene Zeiten das

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/79&oldid=- (Version vom 31.7.2018)