Seite:Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen (1902).djvu/77

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

habe; er wird dort vielmehr finden, daß die Kirche sich keineswegs darüber ausgesprochen hat, ob diese Knaben von den Juden durch einen Ritualmord getötet worden seien; er wird finden, daß die Kirche bloß gestattet hat, daß diejenigen Christen, welche es wollen, diese Knaben verehren dürfen, und daß sie diese Erlaubnis jederzeit wieder zurücknehmen kann.

H. Dr. Bachler hat aber auch unrecht, wenn er behauptet, daß die Juden durch die Stimmen aller Völker, unter denen sie wohnen, des Ritualmords beschuldigt werden, denn meines Wissens sind in Portugal und Spanien, in Amerika und Australien noch niemals Anklagen gegen die Juden wegen Ritualmords erhoben worden.

Wenn H. Dr. Bachler Anstoß an jüdischen Gebeten nimmt, die am zweiten Ostertag in den Synagogen verrichtet werden, und in welchen Gott angerufen wird, er möge seinem Volke zu Hilfe kommen gegen seine Feinde, das Land mit ihrem Blute tränken, die Erde mit ihrem Fette düngen, so will ich ihn nur darauf aufmerksam machen, daß diese Gebete aus Worten der Heiligen Schrift zusammengestellt sind, insbesondere aus den Psalmen, die auch von Katholiken und Protestanten ebenso wie von den Juden gebetet werden. Zwar hat man von antisemitischer Seite schon einmal den Wunsch gehört, die Heilige Schrift des Alten Bundes möchte aus den Schulen entfernt werden, aber bis jetzt wurde diesem Verlangen noch nicht stattgegeben, und wie in den katholischen und protestantischen, dürfen darum auch in den jüdischen Schulen die Psalmen gebetet werden.

Eine Übersetzung der jüdischen religiösen Schriften hält H. Dr. Bachler für zwecklos, und zwar aus dem Grunde, weil bei den Juden der Gegenwart ein ungeschriebenes Gesetz Geltung habe, welches gerade darauf abziele, das geschriebene Gesetz umzustürzen, dagegen diejenigen abergläubischen Dinge zu befördern, die von Moses und den Propheten ausdrücklich verboten seien. „Dieses ungeschriebene Gesetz,“ sagt er, „muß die Richtschnur für die Behandlung des modernen Judentums durch den Staat sein. Wird sie es nicht, so rennen die christlichen Völker in ihr Verderben.“ Diese geheimnisvolle ungeschriebene Gesetz, von dem niemand weiß, woher es gekommen ist, wer es zuerst gelehrt hat, wie es dem so außerordentlich hohen Ansehen des geschriebenen Gesetzes gegenüber sich Geltung verschaffen

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/77&oldid=- (Version vom 31.7.2018)