Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Mittags gerieten wir in einen Hinterhalt, nachdem wir festgestellt hatten, dass lange Infanteriekolonnen und viel Artillerie im Anmarsch waren. Russische Dragoner umzingelten uns. Der Leutnant erhielt einen Kopfschuß.

Es war in einer Tannenschonung. Die Schüsse kamen aus dem Dickicht. Nur ein Mann außer mir brach mit durch. Aber nicht nach Westen zu konnten wir, nein, nur dem Feinde entgegen. Die Dragoner hetzten uns wie arme Hasen. Die Kugeln pfiffen uns um die Ohren. Dann stolperte meines einzigen Gefährten Gaul, brach das Genick. Ich wollte den Reiter zu mir in den Sattel nehmen. Er war jung wie ich, verlobt. Schon hatte er die Hand auf die Kruppe meines kleinen Kosaken gelegt, als er zusammensank – ins Herz getroffen. Ich floh allein weiter, auf einen Hochwald zu, sprang vom Pferde und verkroch mich in einem Brombeergebüsch. Erst in der Nacht trieb mich der Hunger heraus ins freie Feld. Rohe Kartoffeln waren meine Mahlzeit und eine halbverfaulte Rübe. Todesmatt marschierte ich nach Westen zu, hinein ins Ungewisse. Es war bitterkalt. Meinen Mantel mit meinen wenigen Habseligkeiten, darunter auch eine Momentkamera, trug ich als Rucksack zusammengebunden auf dem Rücken. Wie im Traum tappte ich vorwärts. In der Ferne vor mir hörte ich Kanonendonner. Ich wusste nicht, wo ich mich befand. Dann stand ich plötzlich am Ufer eines vielleicht zwanzig Meter breiten Flusses. Das Mondlicht ließ mich im Weidengebüsch einen Fischernachen entdecken, einen sogenannten Seelenverkäufer, aus vier Brettern zusammengenagelt, eigentlich nur ein langer Freßtrog. Zwei plumpe Holzruder lagen darin. Ich kletterte hinein und ließ mich von der Strömung treiben, – wieder ins Ungewisse, aber doch dem Geschützdonner, also den Unsrigen entgegen. Die Müdigkeit überwältigte mich schließlich. Mir war alles gleichgültig. In der Herzgegend hatte ich ein quälendes Gefühl von Hitze, zeitweise auch heftige Stiche. Ich merkte, dass ich einschlafen würde, ruderte mit

Empfohlene Zitierweise:
W. Belka: Der Mumiensaal. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1916, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Mumiensaal.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)