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Bei jeder Klage nach § 26, die voraussetzt, dass dem Immittenten die gewerbepolizeiliche Konzession zur Seite steht, ist von besonderer Wichtigkeit dieses, dass ich nur auf zweierlei einklagen kann: 1. auf Herstellung von Einrichtungen, die den Lärm mildern, 2. auf Schadloshaltung für den durch Lärm erlittenen Schaden. Dahingegen kann ich nicht auf „Einstellung des lärmenden Betriebes” klagen. Eben dieser Umstand, dass die „Klage auf Unterlassung” im modernen Rechte beseitigt ist und durch die Klage auf „Herstellung praktikabler Einrichtungen” ersetzt wurde, stellt einen tiefen Eingriff in das Eigentumsrecht dar. Der lärmende Immittent wird auch im Falle der Verurteilung lediglich verpflichtet, „tunliche Schutzvorrichtungen” durchzuführen. Mir, dem Kläger aber wird anheimgegeben solche Vorrichtungen ausfindig zu machen, die mich vor dem Lärm schützen, ohne doch meinem Gegner irgendwie wehe zu tun. Jeder meiner Vorschläge kann aber durch einen von meinem Gegner hinzugezogenen „Fachmann” abgelehnt werden. So wird denn selbst mit der Verurteilung zu praktikabeln Einrichtungen nach § 26 G.O. praktisch gar nichts erreicht sein…

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Wofern nun die „praktikablen Einrichtungen” sämtlich „untunlich” befunden werden, so kann ich freilich zu der zweiten Forderung auf „Entschädigung” übergehen, ohne dass dem Gegner der Einspruch der Klagänderung zusteht.[1][WS 1] Nunmehr aber kann der Gegner zunächst mit Erfolg nur für die „pro futuro zu erwartenden” Schädigungen mir einen Ersatz einräumen; in diesem Fall ist er nicht verpflichtet, für den vor Erhebung der Lärmklage erlittenen Schaden irgendwie aufzukommen[2]. Da nun gerade bei Lärm die „Nachweisbarkeit künftiger Vermögensbeschädigung“ nicht möglich ist, andererseits die Klage auf „praktikable Einrichtungen”, wie wir gesehen haben, faktisch ohne Erfolg bleibt, so bietet die Gewerbeordnung überhaupt keinen Rechtsschutz wider den Lärm. Was auf dem Papier der Gesetzbücher steht, ist dem gegenüber ganz belanglos. Das ist nur die Rechtskulisse. Die nackte Wahrheit ist unsere absolute Ohnmacht und Schutzlosigkeit gegen den Lärm. Es ist somit schliesslich unter allen Umständen nur unweise, gegen ihn Klage zu erheben. Denn: ubi nihil vales, ibi nihil velis[WS 2]


  1. Hörle, Verwaltungsarchiv 1902, S. 386.
  2. Rocholl, Rechtsfälle aus der Praxis des Reichsgerichts 2, 379 ff. Dazu: Seuff. A. 60, Nr. 218.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Referenz für Fußnote 1 fehlt im Text, die Anbindung an diese Stelle wird nur vermutet
  2. Wo du nichts wert bist, sollst du nichts wollen. Arnold Geulincx, Ethica (1696) Traktat I, S. 164.
Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/89&oldid=- (Version vom 31.7.2018)