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verschüchterte Tier mit Decken und Tüchern vom Lichte abgesperrt wird. – Ebenso ist das Geplärre der Papageien ganz unerträglich. Sie werden reineweg aus Modenarrheit gehalten; selten von Leuten, die sich wirklich mit Tieren abgeben wollen. Solch Papagei, der die selben mechanischen Sprachlaute viele Stunden lang unablässig wiederholt, kann einen arbeitenden Geist zu heller Verzweiflung bringen. Ein besonders unerträgliches Geräusch ferner ist das Gegacker des brütenden Huhnes und das Geschrei der Hähne in der ersten Morgenfrühe… Selbst wenn man sich auf dem Lande bemüht mit den Hühnern schlafen zu gehen, so ist doch die Legezeit der Hühner und das Schreien der Hähne so willkürlich, unberechenbar, dass man in jeder Stunde der Nacht darauf gefasst sein muss, dass ein Hahnenkonzert beginne; denn sobald der erste Hahn gleich nach Mitternacht kräht, fängt in der Runde der Wettkampf lärmender Stimmen an. Dies erwirkt einen fast fieberhaft angespannten Zwangsimpuls des Aufmerkenmüssens. Man erwacht um Mitternacht in der Erwartung: „Gleich wird es anfangen.” Und selbst wenn der Lärm für ein paar Stunden aufhören sollte, so kommt doch kein Schlaf mehr, weil man eben gezwungen ist, abzuwarten, ob die Störung nicht alsbald wieder einsetzen werde. So liegt man mit fieberhaft angespannten Nerven im Dunkel. Man hört jeden Laut auf Meilen im Umkreis. – Eine ähnliche Tortur wie das Lärmen des Haushahns verhängt auch die Nähe eines Unkenteiches oder der ununterbrochene Schrei röhrender Hirsche oder das Klagen des Uhus über nächtlich Wachende und Überwachte… In einer Reisebeschreibung finde ich ein Tal in den Walliser Alpen erwähnt, dessen Besuch der Gegenstand meiner Sehnsucht wäre, wenn der Berichterstatter wirklich die Wahrheit sagt: Im Val d’Anniviers, dem Eifischtal, sollen überhaupt keine Haustiere, insbesondere keine Hunde gehalten werden und zudem sollen die Anniviarden keine Musik treiben, weil sie vollkommen unmusikalisch sind. Ist das Wahrheit, gibt es ein Alpental, wo sich kein Grammophon, kein Klavier befindet, dann will ich für seine Unberührtheit beten…

6.

Die Herrn Leisetreter, die Herrn Superklug
Sagen stets: „Du nimmst den Mund zu voll,”
Ach, wo Wahn und Dummheit fallen soll,
Ist das Horn von Jericho nicht laut genug.

Jetzt aber will ich von einem Geräusche sprechen, das nicht so sehr um seiner eigenen Abscheulichkeit willen denunziert zu werden verdient, als darum, weil es Symptom von Missständen ist, mit denen sich kaum irgend eine andere Schädlichkeit unserer Wirtschaftsordnung vergleichen lässt. Von den Geräuschen der Hauswirtschaft soll die Rede sein; insbesondere von dem grauenhaften Gelärme des Teppich-, Polster-

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Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/59&oldid=- (Version vom 31.7.2018)