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das erweist sich besonders an der Entwickelung der Sprache. Ich denke zunächst an die unbewussten „onomatopoetischen” Wortbildungen. Etwa an Tatsachen wie die, dass die Namen der meisten Geräusche das betreffende Geräusch selber hervorbringen, d. h. dass der Laut des Wortes der Höhe oder Tiefe des Geräusches entspricht, das durch das betreffende Wort bezeichnet wird. Man wird z. B. in den Worten brummen, donnern, poltern, rauschen, brausen, rasseln, knarren, schmettern, piepsen, piepen die Tonart des von ihnen bezeichneten Geräusches unschwer wiedererkennen. Auf dieser tonmalenden Funktion der Sprache beruht bekanntlich insbesondere der Reiz des Stabverses und der Alliteration. – Viel wichtiger aber als diese Produkte unbewusster Gehörsempfindungen sind die zahllosen rhythmisch-musikalischen Elemente der Sprache, hinter denen ebenfalls ungemerkte Gehörseindrücke stehen. Gerade die Erscheinungen des „Rhythmus” deuten auf anthropologische Verwurzelungen, deren Untersuchung den Wissenschaften der Tonpsychologie wie der Musikästhetik eine konkrete Grundlage gibt. Ich will daher wenigstens im Vorübergehen auf Tatsachen hinweisen, mit denen sich die Physiologie des Lärms und der Geräusche seit alters beschäftigt hat. Man weiss, dass durch Lärm und Geräusche sekretorische wie exkretorische Funktionen gesteigert, gemindert oder sonstwie verändert werden. Man hat auch versucht, die physiologische Wirkung bestimmter Töne und Tonfolgen festzustellen und das Altertum pflegte sogar die musikalischen „Tonarten” nach physiologischen Gesichtspunkten zu unterscheiden. Man meinte, dass eine bestimmte Tonart (die äolische, phrygische, dorische usw.) auf bestimmte körperliche Organe, auf Herz, Magen, Rückenmark usw. Einfluss habe. Hierauf begründete sich jene merkwürdige Therapie des Mittelalters, die durch bestimmte Töne und Instrumente gewisse Krankheiten zu heilen unternahm; etwa Wassersucht mit einer Flöte aus Zedernholz, Fieber durch Mollakkorde auf einer Weidenflöte u. dergl. mehr, abergläubisch-mystagogische Spielereien, hinter denen gleichwohl ein tiefer Einblick in die physiologische Wichtigkeit der Geräusche steckte. – Es ist freilich nicht viel damit getan, wenn man (wie noch neuerdings Th. Billroth versuchte), den Rhythmus und den Zeitsinn zu physiologischen Tatsachen, etwa zu Systole und Diastole des Herzens in Beziehung bringt. Aber es bleibt immerhin eine Aufgabe der Wissenschaft, alle somatischen Korrespondenzen von Tönen, Klängen oder Geräuschen und insbesondere ihre Beziehungen zu den Empfindungen anderer Sinnesgebiete wie z. B. der Farbenempfindung durch Experimente aufzuzeigen[1].


  1. Die Bezeichnungen Ton, Klang und Geräusch habe ich in dieser Arbeit nicht streng gegen einander abgegrenzt, – denn es war für ihren Zweck durchaus unnötig. – Im übrigen bezeichnet man als „Ton“ nur die akustische Elementarempfindung. [38] Als „Klang” ein aus „Teiltönen” zusammengesetztes akustisches Gebilde, dessen „Farbe” von der Intensität der es zusammensetzenden Teiltöne abhängig ist. Als „Geräusch” eine Folge von Tönen, die entweder hinsichtlich der Schwingungszahl differieren, oder einen sehr schnellen, unregelmässigen Wechsel der Tonhöhe aufweisen (wie z. B. das Heulen des Windes, das Plätschern des Wassers), oder von denen jeder einzelne Ton nur ganz kurz andauert.
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Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/40&oldid=- (Version vom 31.7.2018)