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Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.

 Ursprünglich war Calvins Gedanke der gewesen, seine Schrift gegen Westphal als eine Confessionsschrift, unterschrieben von allen Schweizer Kirchen, herauszugeben. Als aber der Entwurf den Zürichern zugeschickt worden, schrieb Heinrich Bullinger, der Züricher Theologe, der nicht nur besonnener und gemässigter, sondern auch einsichtiger und des wirklichen Standes der Dinge kundiger war als Calvin, an diesen[1]: „Es will uns dünken, lieber Calvin, Du verfahrest durchaus etwas zu derb mit unsern Gegnern. Drei bis viermal nennst Du sie Taugenichtse, und machst ihnen die Rinder ihres Heimathlandes und die Nähe des Eismeeres zum Vorwurf; den Westphal nennst Du Bestie. Nun, wir gebens freilich zu, sie habens verdient etwas hart mitgenommen zu werden, aber – weder von Dir, noch von uns. Weit besser will es uns geziemen, milde zu sein. Gerade so heftige Schimpfworte waren Schuld, dass Luthers Schriften viele redliche Leute mit Unwillen erfüllten; und darum sollte eben auch nach unserer Meinung diese Deine Schrift so gemässigt sein, dass man allenthalben spüren möge, es sei dem Verfasser um die Erhaltung und Vertheidigung des freien einfachen Bekenntnisses der Wahrheit zu thun: er bewahre christliche Würde und Milde und nehme Rücksicht auf unser stürmisches und heftiges Zeitalter. Dem Westphal, diesem wortreichen und streitsüchtigen Menschen, wünschen wir, so viel an uns liegt, den Anlass zu weiterem Hader abzuschneiden. Es gibt aber in Sachsen und nördlich am baltischen Meere viele tausend Wohlgesinnte, deren Freundschaft man, wie Du richtig bemerkst, wahren soll. Vielleicht aber würden eben diese sich durch Deine Ausfälle beleidigt finden, da Du in allgemeinen Scheltworten von eisigen und kalten Menschen, von Bestien und Taugenichtsen redest. Besser wäre es also, wenn Du diese Stellen streichen und den Erneuerer des Sacramentsstreites Westphal nennen würdest, damit jedermann wisse, wir treten wider ihn auf.“

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 Bullinger kannte aber auch die Stimmungen und Ueberzeugungen in Deutschland zu gut, als dass er sich wie Calvin der Täuschung hingegeben hätte, es sei in Deutschland alles auf dem


  1. H. Bullinger von Pestalozzi p. 389.
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1868, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Kampf_der_lutherischen_Kirche_um_Luthers_Lehre_vom_Abendmahl.pdf/185&oldid=- (Version vom 1.10.2017)