Vater war in allem folgsam wie ein Kind. Er lebte in dem Wahn, daß wir nach Maskat unterwegs seien, wo wir die Mutter lebend, frisch und munter wiederfinden würden.
In müdem Trab strebten unsere Tiere vorwärts. Nach etwa zwei Stunden merkte ich dann, daß ihre Bewegungen lebhafter wurden. Sie hoben die Köpfe, sogen schnaubend die Luft ein und begannen plötzlich einen Galopp, als gelte es ein Wettrennen.
Der Mond stand als volle Scheibe am Himmel, hüllte die Wüste in ein fast grünlich erscheinendes Dämmerlicht … Und um das Rund des Nachtgestirns herum schimmerten all die unzähligen Sterne des südlichen Firmaments in jener verschwenderischen Lichtfülle, wie man sie eben nur in den Tropen zu sehen bekommt.
Der Sand flog unter den eiligen Füßen der flinken Tiere nur so dahin … Immer schneller wurde die Gangart, immer wilder diese Hetze. Dann bemerkte ich vor uns einen dunklen Strich. Es war eine tiefe, felsige, mit Steinblöcken in allen Größen übersäte, gut eine Meile lange Schlucht – dieselbe, in der wir uns jetzt befinden und in der ich all diese Jahre gehaust habe – einsam, verlassen, – nur auf mich allein angewiesen.
Wir fanden hier wirklich Wasser. Zwei natürliche Zisternen, in denen das Regenwasser sich angesammelt hatte, labten uns und die braven Dromedare, nachdem wir uns dann noch ein Versteck zwischen den Felsen gesucht hatten, hüllten wir uns in unsere Mäntel und schliefen sofort ein, – ich mit der Büchse im Arm, die dem Anführer der Bir Billa gehört und zu der ich in einer Satteltasche etwa neunzig Patronen gefunden hatte.
Mit der Büchse im Arm …! Ich fürchtete die Verfolger! Daß die Bir Billa alles daran setzen würden, uns wiedereinzufangen, war ja sicher …! –
Am Morgen gab es dann ein böses Erwachen für mich: unsere Reittiere lagen verendet am Boden! Vielleicht hatte ihnen der allzu reichliche Genuß des Wassers nach den Tagen des Durstes den Rest gegeben. –
Mit dem Tode der beiden Dromedare war uns vorläufig jede Möglichkeit genommen, die Schlucht zu verlassen
W. Belka: Der Gespensterlöwe. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1916, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Gespensterl%C3%B6we.pdf/18&oldid=- (Version vom 31.7.2018)