zu haben, wobei sie gerade den Weg über den Platz, wo um 6 Uhr nachher die ausgeblutete Leiche vorgefunden wurde, dreimal gemacht hat. Einmal nahm sie sogar dort Streu auf; da der Melkeimer voll war, mußte sie zum andern Male an der Fundstelle vorbei, und das am hellen Tage, sodaß daraus unwiderleglich folgt, daß die Leiche erst nach ½1 Uhr hingelegt worden sein kann. Sie bestätigte ferner, wie sie nachher um 6 Uhr bei der Abendfütterung mit dem Fuß daran gestoßen und so die Auffindung bemerkt hat. Sehr befremden mußte bei dem Verhör das etwas barsche Benehmen des Staatsanwalts Baumgardt gegen die Zeugen, die dadurch augenscheinlich verwirrt wurden. Und derselbe Herr Staatsanwalt hatte sich früher gegen das mitangeklagte Judenmädchen Buschoff beweisbar stets sehr kavaliermäßig benommen. Auf die ganze Art und Weise des Verfahrens wirft diese hier im allgemeinen scharf bemängelte Barschheit – um uns nicht noch eines treffenderen Ausdrucks zu bedienen – ein bemerkenswertes Schlaglicht. Oder war der Herr Staatsanwalt Baumgardt etwa darum so zornmütig gegen die Zeugen, weil sich durch unsere Festnagelung die Thatsache herausgestellt hat, daß er, nachdem am 29. Juni (Montag) das geschächtete Kind aufgefunden, erst acht Tage später Zeit fand, persönlich auf dem Thatorte zu erscheinen? Das Landgericht Cleve ist in kriminalistischer Hinsicht eine Art Sinekure; also Überbürdung kann diese unverzeihliche Unterlassung nicht veranlaßt haben! Oder ließ Herr Baumgardt sich heute darum von seinen Aufwallungen hinreißen, weil ihm einfiel, daß er an jenem Montag (6. Juli) anstatt die Buschoffsche Behausung in allen Ecken und Winkeln bis in die Erde hinein durch erfahrene Kriminalbeamte zu durchsuchen, sich mit einer sehr oberflächlichen Besichtigung des Thatortes begnügte? Oder sollte ihm etwa eingefallen sein, daß diese nachträgliche Kontrolluntersuchung sich besser ausgenommen hätte, wenn auch Assessor Clässen (Kleve), der Kreisphysikus von Mörs, der Kreiswundarzt aus Orsoy und der Chirurg Rennings, d. h. die zuerst eingreifende Gerichtskommission, mit zur Stelle gebracht worden wäre? Jedenfalls läßt es sich begreifen, wenn hier und in Kleve verlautet, er trage sich seit einigen Tagen mit Rücktrittsgedanken.
Heinrich Oberwinder: Untersuchung über den Xantener Knabenmord. Vaterländische Verlagsanstalt, Berlin 1892, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Fall_Buschoff.djvu/13&oldid=- (Version vom 31.7.2018)