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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

Schneider gehen müsse und verließ dann die Bank. – Und dieses Alibi, das er sich durch diesen Besuch bei seinem Schneider zu verschaffen suchte, hat mir alle meine Vermutungen und Kombinationen zu zerstören gedroht. Ich hatte nämlich durch vorsichtige Nachfragen von dem Prokuristen Westfal erfahren, daß Willert bei Dembowski in der Junkerstraße arbeiten läßt. Ich ging daher zu Dembowski, nebenbei eines der ersten Schneiderateliers hier – und bestellte mir einen Anzug; während der Geschäftsinhaber beim Maßnehmen mit mir plauderte, holte ich ihn auf Umwegen aus – und wirklich, Willert war an jenem Vormittag dort gewesen. Wie lange, konnte ich nicht herausbringen, nur daß es zwischen zehn und elf war. Diese Feststellung war geeignet, alles Vermutete über den Haufen zu werfen. Aber schließlich waren die gegen Willert sprechenden Verdachtsgründe doch zu schwerwiegende, als daß ich diese Fährte nun aufgegeben hätte. Ich überlegte mir auch, daß, wenn Willert nur wenige Minuten bei Dembowski geweilt hatte, ihm noch immer soviel Zeit blieb, um nach Hause zu eilen und diese Maskerade vorzunehmen. Und sein Geständnis beweist mir jetzt, daß ich mir das Richtige gedacht hatte. Willert ist in einem Taxameter nach dem Schneideratelier gefahren, hat dort ungefähr drei Minuten geweilt und derselbe Taxameter brachte ihn zunächst nach dem Geschäft eines Optikers, wo er sich eine Brille mit vergoldeter Einfassung kaufte, und dann nach seiner Wohnung. Und denken Sie, Herr Sanitätsrat, in dem Hause, in dem Willert zwei möblierte Zimmer bewohnte, waren Maurer mit der Renovierung der Parterreräume beschäftigt, wobei sich auf der Stufe zur Haustür ziemlich viel von dem roten Ziegelmehl festgesetzt hatte. Das habe ich selbst mir sofort am Tage nach dem Morde angesehen. – Bekanntlich hatte es am 19. ziemlich stark geregnet, das Ziegelmehl auf der Stufe war breiig geworden, und als Willert das Haus hastig betrat, blieb an der Spitze seines linken Stiefels etwas von dem rötlichen Brei haften und setzte sich auch in dem Rande zwischen Oberleder und Sohle fest. Ich erwähnte schon, daß Willert sich bereits einige Tage vor dem Morde Perücke und Bart nach seiner Wohnung kommen ließ. Dieses muß unabsichtlich geschehen sein, da der Plan zu dem Verbrechen den ganzen Umständen nach erst am Tage der Ausführung selbst von ihm gefaßt sein kann. Nach seiner Aussage ist ihm nun am Donnerstag morgen, also am Tage vor dem Morde, als er Perücke und Bart angelegt hatte und sich im Spiegel beschaute, seine geradezu frappante Ähnlichkeit mit dem Baron von Berg unwillkürlich aufgefallen. Hieran erinnerte er sich, als er das Telephongespräch zwischen dem Kassierer Meisel und Ihrem Bruder mitanhörte und – diese Ähnlichkeit verleitete ihn auch, überhaupt den Versuch zu wagen, als Herr von Berg sich Zutritt bei Ihrem Bruder zu verschaffen. Wie Willert angibt, hat er sich nun, als er in seiner Wohnung eben angelangt war, blitzschnell nochmals die Ausführung seines Verbrechens zurechtgelegt und alle Möglichkeiten ins Auge gefaßt. Die Absicht Ihren Bruder zu ermorden, will er nicht gehabt haben und hierfür spricht auch die Ausführung des Verbrechens. Willert hat sich dann in seiner Wohnung vor dem Spiegel Perücke und Bart befestigt und auch die eben gekaufte Brille aufgesetzt. Als er nun noch den Zylinder – den er täglich trägt – aufsetzte, mußte ihn jeder oberflächliche Beobachter notwendig für den Baron halten. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen; trotzdem spannte Willert, um sein Gesicht zu verbergen, auf der Straße seinen Schirm auf und schloß ihn erst in der Tür zu der Bank. Der Portier hat sich also geirrt, da er angab, daß der Herr, den er für den Baron hielt bei seinem zweiten Besuch keinen Schirm gehabt hat. Man sieht, wie wenig auf solche Aussagen zu geben ist, Herr Sanitätsrat. – Willert eilte die Stufen zu dem Korridor hinauf, schritt mit abgewandtem Gesicht an der Portierloge vorbei und betrat das Wartezimmer. Die Karte des Herrn von Berg, die er dort dem Laufburschen schweigend hinreichte, soll durch einen Zufall in seine Hände gelangt sein, was mir auch ganz glaubhaft erscheint. Ihr Bruder schickte Willert – wie dieser angab – nämlich vor längerer Zeit einige Geschäftsbücher zur Durchsicht zu und in einem derselben soll die Karte gelegen haben, die auf irgendeine Weise zwischen die Seiten geraten war. Es war nun ein ganz raffinierter Trick von ihm, daß er in dem halbdunklen Vorraum abwartete, ob der Herr Bankier ihn empfangen würde. Denn hatte ihr Bruder vielleicht gerade Besuch, so konnte er unerkannt wieder verschwinden und auch der Junge bekam ihn auf jeden Fall nur undeutlich zu sehen. Allerdings an eins hatte Willert doch nicht gedacht. Es war ja möglich, daß der Baron das Geld bereits abgeholt hatte – und wie wollte er sich dann aus der Affäre ziehen? – Wieder ein Beweis, Herr Sanitätsrat, daß selbst die größten und schlausten Schurken bei ihren Überlegungen nicht die notwendige Sorgfalt und Ruhe verwenden. Zum Glück für die Menschheit, zum Vorteil für uns, die wir nur durch die Nachlässigkeit der Verbrecher auf ihre Spur geführt werden. – Aber das Unglück wollte es – Ihr Bruder war allein! Die Vorgänge in dem Privatkontor haben sich nun nach dem Geständnisse des Mörders folgendermaßen abgespielt: Als der Laufbursche zurückkam und meldete, daß der Herr Bankier bitten ließe, hat Willert das Wartezimmer passiert, die offengebliebene Tür zu dem Privatkontor geöffnet, ist eingetreten und hat die Tür hinter sich ins Schloß gezogen. Ihr Bruder stand am Schreibtisch und kam dann dem Herrn, den er wohl auch im ersten Augenblick für den Baron hielt, entgegen. Willert hat mit einem schnellen Blick gesehen, daß das ziemlich starke, gelbe Kuvert noch auf dem Schreibtisch lag und ist Ihrem Bruder sofort an die Kehle gefahren und hat ihn durch Zudrücken der Kehle zu betäuben versucht. Die Strangulationsmarken haben wir an der Leiche nachher auch gesehen. Der Bankier wehrte sich zuerst, taumelte dann aber zurück und riß den Mörder mit. Dabei wird Ihr Bruder wohl die Kehle einen Moment freibekommen und – ich nehme das an – um Hilfe gerufen haben. Willert hat ihn dann wieder gepackt und ihn mit aller Kraft am Schreien zu hindern gesucht. Da die roten Flecken an dem Halse des Toten so stark ausgeprägt waren, glaube ich bestimmt, daß der Widerstand des Bankiers bald nachgelassen haben muß. Willert, der den bereits halb Ohnmächtigen wohl nur durch seine Armkraft aufrecht hielt, tastete nun mit der rechten Hand auf dem Schreibtisch nach dem gelben Kuvert und dabei soll ihm das lange, dolchartige Papiermesser Ihres Bruders zwischen die Finger gekommen sein. Da hat er in der Aufregung und Angst, daß der erst Halberwürgte nochmals um Hilfe rufen könnte, mit dem Papiermesser zugestoßen – und leider zu gut getroffen. Den immer schwerer werdenden Körper des Sterbenden, konnte er nicht mehr halten; er ließ ihn fallen,

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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/54&oldid=- (Version vom 31.7.2018)