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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

Vollbart hatte, mußten mir diese blonden Härchen wohl auffallen, da es doch ein etwas sonderbarer Zufall sein müßte, wenn sich Haare gerade in einer Krawattennadel, also an einer so schwer zugänglichen Stelle, verfangen. Die allerdings leicht irrige Folgerung aus dieser meiner Entdeckung war, daß dieser Herr mit der Krawattennadel, in der die beiden Härchen hingen, vor nicht allzulanger Zeit, einen – falschen blonden Vollbart getragen hatte und so auf sehr leichte und natürliche Weise die Härchen sich in den Verzierungen der Nadel eingeklemmt hatten. Auch hierin werden die Herren mir wohl gefolgt sein …“

Konnte man bisher in den Mienen der um den Tisch Sitzenden nur das Interesse an diesen Ausführungen bemerken, so lag jetzt in all den auf Werres gerichteten Augenpaaren die gespannteste Erwartung. Der Kommissar hatte sich weit vorgebeugt, der Staatsanwalt sich ganz zu Werres hingewandt – selbst die Körperhaltung der einzelnen drückte diese Spannung aus. Nur der Sanitätsrat schaute als einziger vorsichtig prüfend auf die drei Angestellten … und – machte es die Beleuchtung? – das sonst so frische Gesicht des zweiten Kassierers sah geisterhaft bleich aus …

Werres sprach weiter. „Da nun der Portier und der Laufbursche den Baron von Berg um ¾11 hier in der Bank gesehen haben wollten, der Baron aber für mich als Täter vollkommen ausfallen mußte, so konnten meine weiteren Feststellungen sich nur mit einer Person beschäftigen, die eben hier den Herrn von Berg mit viel Geschick gespielt hatte, das heißt – mit dem rätselhaften Doppelgänger des Barons. Und für diesen Doppelgänger hatte ich ja vielleicht schon einen Anhalt gefunden, eben die beiden Härchen in der Krawattennadel. Aber diese meine Vermutung konnte ebenso leicht sich als hinfällig erweisen, jedenfalls mußte ich mir weitere Beweise zu verschaffen suchen. Bei der Vernehmung dort im Wartezimmer habe ich, wie die Herren sich besinnen werden, meinen Bleistift – es geschah absichtlich – den einzelnen Personen vor die Füße rollen lassen und mich dann jedesmal blitzschnell gebückt. Während ich den Bleistift suchte, fand ich Gelegenheit, mit den Fingernägeln meiner rechten Hand schnell in dem Rande der linken Stiefelspitzen der vor mir Stehenden entlang zu fahren. Mein Zweck war der, festzustellen, ob sich vielleicht in diesem Rande etwas getrocknetes rotes Ziegelmehl vorfand. Und ich habe gefunden, was ich suchte. Sie, Herr Staatsanwalt, werden sich besinnen, ebenso wohl auch der Herr Kommissar, daß ich Ihnen auf Ihre Frage, warum ich mir plötzlich meine Fingernägel so angelegentlich betrachte, zur Antwort gab, daß sich unter dem Nagel des Mittelfingers meiner rechten Hand etwas – rotes Ziegelmehl befände – nichts weiter!“

Hübner drehte sich schnell zu dem Kommissar hin. Sie tauschten nur einen beredten Blick aus – sie hatten sich verstanden. Ja, das hatte Werres gesagt, als der zweite Kassierer kaum das Wartezimmer verlassen! Und beide, Hübner und Richter, schauten nun auf den, der jetzt in seinem Stuhl zusammengesunken dasaß, das fahle Gesicht verzerrt, den Blick starr vor sich hingerichtet … Ein unheimliches, die Nerven aufreizendes Schweigen folgte. Und dann fuhr die leidenschaftslose Stimme fort …

„Dieses rote Ziegelmehl fand ich an der Stiefelspitze derselben Person, in deren Nadel auch die beiden Härchen hingen. Aber auch dieser Beweis konnte mich täuschen – ich mußte sicherer gehen. Durch die mir beigegebenen Kriminalbeamten stellte ich fest, daß von einem Friseur acht Tage vor dem Morde eine blonde Perücke und ein blonder Bart für eine Aufführung der hiesigen freien dramatischen Vereinigung entliehen war. Weiter brachte ich heraus, daß der Besitzer jener Krawattennadel nicht nur beträchtliche Schulden hatte, sondern auch ein Spieler war. Es gelang mir, in eine Gesellschaft mir Eingang zu verschaffen, in der auch jene Person verkehrte und in der hoch gespielt wurde. Ich beteiligte mich am Spiel und wußte geschickt einen 500-Markschein, den der Betreffende einwechselte, an mich zu bringen. Dieser Schein – war einer der Geraubten! Den Mörder hatte ich nun gefunden!“

Ein qualvolles Stöhnen zitterte durch das Zimmer. Aller Blicke richteten sich auf Willert, der wie leblos mit geschlossenen Augen, die Gesichtszüge bis zur Unkenntlichkeit entstellt, dasaß. Aus seiner Brust kam’s wie ein unterdrückter Schrei, er schien sich aufzurichten, etwas sagen zu wollen – aber gebrochen fiel er zurück und nur die blutleeren Lippen bewegten sich zitternd. Jetzt lag auf den Gesichtern der Anwesenden das helle Entsetzen; dieses furchtbare Drama, das sich da vor ihnen abspielte, packte ihre Nerven und ließ sie vibrieren … Und dazu diese Stimme, die so monoton das Strafgericht heraufbeschwor!

„Den Täter hatte ich, – aber auch den Raub mußte ich haben. Der Mörder ist verlobt, seiner Braut hatte er die in eine Kassette eingeschlossene Summe zur Aufbewahrung übergeben. Und der Mörder hat gestern in derselben Maske, die ihm zur Ausführung seines Verbrechens diente, auf der Bühne des Schützenhauses in nicht zu begreifendem Sicherheitsgefühl den Landrat im „Traumulus“ gespielt! Sie, Herr Sanitätsrat und ich – wir haben diesen Menschen gesehen, der mit vollendetem, schauspielerischem Talent, angetan mit derselben Perücke und demselben Barte, den er genau vor 9 Tagen getragen und von dem zwei winzige Härchen in seiner Nadel haften blieben, oben auf der Bühne agierte – den Doppelgänger des Baron von Berg! Und hier meine Herren – Werres war schnell an den Schreibtisch gegangen und hatte von einem Gegenstand die Papierhülle heruntergerissen – hier ist die Kassette, der Raub des Mörders!“

(Schluss folgt)
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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/52&oldid=- (Version vom 31.7.2018)