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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

Der Doppelgänger


Kriminalroman von Walther Kabel


(Nachdruck verboten)

(1. Fortsetzung)

Werres hatte seine Karte wieder eingesteckt, ging den Korridor entlang – sieben Schritte waren’s –, öffnete die ihm bezeichnete Tür und betrat einen Vorraum, der durch eine einzige Glühbirne von der Decke ein mattes Licht empfing. Aus diesem Vorraum, der keinerlei Mobiliar aufwies, führten drei Türen heraus: die, durch die Werres soeben eingetreten war, dieser gegenüber eine zweite mit einem Schilde: „Kontor“ – und die dritte nach links – und diese sollte in das Privatkontor münden. Werres schaute sich nochmals in dem kahlen Raume um; sein Blick blieb auf einem Stuhl haften, der in der entferntesten Ecke neben der Korridortür stand. Diesen Stuhl hatte er zuerst übersehen. Dann bückte er sich. Der Boden war mit dunklem Linoleum ausgelegt und trotz der matten Beleuchtung sah er darauf die halbgetrockneten, sandigen Spuren vieler Füße.

In diesem Vorraum war’s merkwürdig still. Nur von links, wo das Privatkontor liegen sollte, drang es wie Stimmengemurmel zu ihm. Er schritt auf die betreffende Tür zu und öffnete sie. Eine blendende Helle strahlte ihm entgegen. Mit schnellem Blick umfaßte er das Zimmer. Das konnte das Privatkontor nicht sein, also ein Empfangs- oder Wartezimmer, kombinierte er richtig, wofür ja auch die elegante Saloneinrichtung sprach: In der Mitte ein dunkler, reichgeschnitzter Tisch, daran hochlehnige, seidenüberzogene Sessel in diskreten Farbenmustern, an den Wänden zwei Kopien Böcklinscher Werke in Orginalgröße, dazu Paneele, auf denen alte Zinne standen, die sich in ihrem matten Glanz wirkungsvoll von der in venetianischem Rot gehaltenen Tapete abhoben. Das Ganze überflutet von dem Lichte einer vierarmigen Krone, deren rötlicher Glanz die durch die beiden vergitterten Fenster eindringende Tageshelle wirkungsvoll bekämpfte. – In dem Zimmer standen drei Herren, die nun wie erstaunt über dieses formlose Eindringen den ihnen fremden Herrn Werres erwartungsvoll anblickten. Dieser zog mit leichter Verbeugung den Hut und schaute sich dann suchend um, ohne von den Anwesenden weiter Notiz zu nehmen. Er hatte die Tür hinter sich ins Schloß gedrückt und sah nun, einen Schritt vortretend, nach rechts durch eine offenstehende Tür in das ebenso hell erleuchtete Privatkontor. Dort standen neben dem großen, grünbezogenen Tisch der Kommissar Richter und der Kriminalbeamte Behrent, und dicht vor ihnen auf dem Smyrnateppich lang ausgestreckt lag der bewegungslose Körper eines Mannes.

Werres starrte wie gebannt auf den Leichnam … Es war der erste Mord in seiner Tätigkeit als Kriminalist, an dem er nun seine Fähigkeiten erproben sollte. Bis dahin hatte sein blasses Gesicht, dessen Zügen der kurze, nach englischer Mode verschnittene Schnurrbart durchaus keine erhöhte Intelligenz verlieh, den blasierten, müden Ausdruck beibehalten. Jetzt schien’s, als spannten sich plötzlich alle Muskeln darin, als bekämen die sonst leblosen Augen einen eigenen Glanz, der sie hinter den Kneifergläsern seltsam flimmern ließ. – Werres setzte wie mechanisch seinen Hut, den er bisher in der Hand behalten hatten wieder auf und machte langsam zögernd einige Schritte nach vorwärts, bis er in dem Rahmen der offenen Tür stand. Der Kriminalkommissar, dessen nachdenklicher Blick nun schon minutenlang auf dem Toten geruht hatte, schaute auf. Er winkte seinen

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)