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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

geäußert. „Außerdem ist Herr Dr. Werres vorläufig bei uns nur informatorisch beschäftigt – auch aus dem Grunde habe ich gegen Ihr Ansinnen nichts einzuwenden, Herr Sanitätsrat.“

Dieses hatte Dr. Friedrichs Werres mit sehr zufriedener Miene zu erzählen gewußt und dann etwas verlegen hinzugefügt: „Herr Doktor, ich hätte[1] nun noch eine Bitte, die Sie mir aber nicht falsch auslegen dürfen. Ihnen können durch die Nachforschungen Kosten entstehen, ich möchte auch, daß Sie kein Geld sparen, um zu einem Erfolge zu kommen. Daher gestatten Sie mir wohl, daß ich Ihnen hier vorläufig 500 Mark als … Vorschuß für etwaige Auslagen gebe.“

Werres hatte sich zwar gegen die Annahme des Geldes gesträubt, aber schließlich den dringenden Bitten des alten Herrn nachgegeben. Er sagte sich selbst, daß er leicht eine größere Summe plötzlich gebrauchen könnte – und er selbst besaß nichts, als seine 150 Mark monatlichen Zuschuß, den er von einem Bruder seiner verstorbenen Mutter regelmäßig am 1. jeden Monats zugeschickt bekam und die er noch dazu zurückzuzahlen sich verpflichtet hatte. Den 500 Mark-Schein ließ Werres am Abend durch seine Wirtin wechseln und steckte sich für alle Fälle, wie er sich sagte, von dem Gelde dann 100 Mark in sein Portemonnaie. Den Rest schloß er in seinen Schreibtisch ein. Da er selbst jetzt am Ende des Monats, es war der 26. April, noch gegen 25 Mark besaß, so hatte er sich an dem Spiel beteiligen können. Das tat er ohne Bedenken und griff auch ebenso die ihm eigentlich nicht gehörenden 100 Mark an, da ihm eine unbestimmte Ahnung sagte, daß der heutige Abend für ihn noch mehr Überraschungen bereit hatte.

Das neue Spiel wurde aufgelegt und Werres hatte seine letzten 30 Mark verloren. Er schaute wie zufällig zu Willert hinüber. Dieser stand da und schaute in Gedanken vor sich hin; seine sinnlichen, vollen Lippen waren fest aufeinander gepreßt und die Stirn ärgerlich gekraust. Auch er hatte wieder verloren. Ebensowenig war dem Referendar Möller das Glück hold gewesen.


14. Kapitel.

Als der Bankhalter gerade die Karten für ein neues Spiel mischen ließ, klopfte es in der bestimmten Weise an die Tür. Es wurde geöffnet und drei Herren traten ein – ein Oberleutnant des in X stehenden Grenadierregiments, ein Assessor und ein Gutsbesitzer, der zur Zeit bei demselben Regiment übte. Die Herren legten ab; der Kellner kam und es wurde mit allgemeiner Zustimmung eine Sektbowle bestellt, die aus der gemeinsamen Pinke bezahlt werden sollte.

Werres hatte sich in die Ecke eines Sofas gesetzt und beobachtete die einzelnen. Als nun der Bankhalter das neue Spiel ansagte, rief der neuhinzugekommene Gutsbesitzer laut über den Tisch: „Wie hoch geht’s?“ – „Bis 10 Mark“ antwortete ihm jemand. Da warf er drei 20 Markstücke. „Ich kaufe à 20,“ sagte er zu dem Bankhalter. „Bedauere,“ erwiderte dieser, „nur wenn mindestens fünf Herren um diesen erhöhten Einsatz spielen, darf ich Ihnen Karten à 20 Mark verkaufen – das ist hier Spielregel!“ – Die Umstehenden waren aufmerksam geworden. Da rief auch schon Willert dem Bankhalter zu: „Dann kaufe ich auch zu 20.“ – Schließlich einigten sich sogar fünf Herren, darunter auch Willert und der Gutsbesitzer, daß sie den Satz noch mehr erhöhen und die Karte mit 25 Mark bezahlen wollen. Der Referendar Möller schüttelte warnend den Kopf – „Kinder, Kinder, das geht heute wieder bis in die Puppen!“ Aber man hörte nicht auf ihn. Dann kam er und setzte sich verstimmt neben Werres auf das Sofa, indem er seine Beine weit von sich streckte und sich dehnte und reckte.

„Eigentlich doch ein Unsinn … nicht wahr?!“ meinte er gähnend. „Na, wieviel haben Sie ans Bein gebunden, Kollege?“

„120 Mark – genau,“ antwortete Werres ruhig.

„Ich sitze schon dicker drin – das mag Ihnen ein Trost sein,“ sagte er resigniert und strich sich nachdenklich über das nicht allzuvolle Haar. „Sie haben aufgehört?“ fragte er dann weiter.

„Ja, ich stehe vis a vis de rien – d. h. meine Kasse ist leer.“

„Wenn ich könnte, Kollege, würde ich Ihnen gern aushelfen – aber hier, das sind meine letzten Kröten!“ Er holte 5 Zehnmarkstücke aus seiner Jackettasche hervor und ließ sie durch die Finger gleiten. „Vorläufig spiele ich auch nicht – vielleicht habe ich später Glück,“ meinte er wieder gähnend. Dann legte er Werres vertraulich die Hand auf die Schulter und sagte in seiner ehrlichen, gutherzigen Art – „Schade, daß ich Sie in diesen Hexenkessel eingeführt habe. Hier holt der Teufel sich seine Seelen. Sehen Sie nur da den Willert an, der muß wieder unglaublich im Verlust sein. Wo der Mensch all das Geld hernimmt – ich verstehe das nicht.“

„Er wird doch sicher ein sehr gutes Gehalt haben,“ sagte Werres, sich völlig unwissend anstellend, trotzdem er über des Kassierers Einnahmen sehr wohl unterrichtet war.

„Das mag sein – aber was will das bei Willerts Ansprüchen und Ausgaben sagen, wenn er schließlich auch vielleicht seine 5000 Mark Gehalt hat – und soviel wird’s noch nicht einmal sein!“ Werres schwieg; er wußte, der Kassierer bezog alles in allem nur 4500 Mark.

„Den andern“ – spann der Referendar seine Betrachtungen fort – „schadet so ein kleiner Aderlaß nichts – mir ja auch nicht. Aber mit dem Willert …“ Das Weitere verschluckte Möller und hüstelte dann verlegen. „Nun müssen Sie wirklich denken, Kollege, daß ich auf den eifersüchtig bin, weil ich ihn so belauere … aber mir tut nur seine Braut leid … nur das!“

Werres schaute ihn lächelnd von der Seite an. Der Referendar wurde noch verlegener und lenkte ab. „Ich

  1. Vorlage: hatte
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/30&oldid=- (Version vom 31.7.2018)