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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

die Herren sich die Hände geschüttelt hatten. – „Danke bestens … unberufen – gut wie immer!“ lächelte der Bankier und nötigte seinen langjährigen Kunden auf einen der hohen, gepolsterten Stühle, die zwanglos[1] um den in der Mitte des Zimmers stehenden, grünbezogenen langen Tisch gruppiert waren.

„Also unser Geschäft, Herr Friedrichs … hm ja!“ sagte der Baron zögernd, nachdem er die ihm angebotene Zigarre angezündet hatte. „Ja, unser Geschäft … Ich war bereits in der Kasse, erfuhr aber, daß das Geld noch unten in Ihrer Stahlkammer lagert. Ihr Kassierer wollte es aber sofort heraufholen …“

„Sie werden verzeihen, Herr Baron, daß Sie noch einen Augenblick warten müssen,“ entschuldigte sich Friedrichs. „Aber – zunächst konnte ich nicht ahnen, daß Sie bereits zu so ungewöhnlich früher Stunde – es hat soeben zehn geschlagen – bei mir vorsprechen würden, und dann – ich lasse niemals größere Summen über Nacht in dem Kassenraum. Und mein Kassierer ist an der Verzögerung unschuldig, da ich ihm erst vor wenigen Minuten telephonisch die nötige Order gab.“

„Aber bitte, bitte – ob das Geld nun eine halbe Stunde früher oder später in meinen Händen ist, das bleibt sich gleich …“ Der Baron horchte auf das eintönige Geräusch hin, das die Regentropfen auf dem Glasdache hervorriefen.

„Ein garstiges Wetter draußen,“ murmelte er. – Friedrichs rückte indessen unruhig auf seinem Stuhle hin und her. Schließlich sagte er zögernd …

„Eine Frage, Herr Baron, die ich mir als Ihr langjähriger Vermögensverwalter wohl erlauben darf: Konnte diese Summe von 150 000 Mark nicht durch meine Vermittlung ihrem Zwecke oder ihren Zwecken zugeführt werden …? … Ich meine, es ist doch immerhin eine beträchtliche Summe, die Sie von hier mitnehmen … es kann etwas passieren … schon alles dagewesen …“

Der Baron fuhr sich wie verlegen mit der wohlgepflegten Hand durch den blonden Vollbart. „Eigentlich haben Sie ja recht … aber … sehen Sie, mein lieber Herr Friedrichs, die Sache liegt dieses Mal so, daß ich … daß ich – na kurz und gut, ich kann Ihnen nicht sagen, wozu ich das Geld gebrauche … und“, … er streckte dem Bankier wie begütigend die Hand hin – „das müssen Sie mir nicht verargen!“ – Des Barons Stimme klang gepreßt, als er fortfuhr: „Es gibt Verhältnisse im Leben, die man gern vor aller Welt verbirgt, verbergen muß, trotzdem wir selbst an ihnen unschuldig sind …!“ – Herr von Berg schwieg und schaute in Gedanken versunken vor sich hin. Seine von blondem, gescheiteltem Haar umgebene Stirn hatte sich in sorgenvolle Falten gelegt. Friedrichs unterbrach das peinliche Schweigen.

„Ich wundere mich, daß Herr Meisel das Geld noch immer nicht bringt,“ meinte er ärgerlich. „Ich werde sofort nochmals telephonieren.“ Der Baron erhob sich schnell.

„Aber lassen Sie doch – vielleicht ist in der Kasse gerade viel zu tun,“ wehrte er ab. „Außerdem, eigentlich paßt mir das ganz gut, ich habe nämlich hier in der Nähe noch eine Besorgung … Da komme ich eben später wieder – so in einer Stunde … Der Regen“ – der Baron trat an das Fenster und schaute in den Lichtschacht empor – „scheint ja auch nachgelassen zu haben …“ – „Aber Herr Baron, das Geld muß ja sofort da sein …“ Und wieder wollte der Bankier an das Telephon eilen.

„Lassen Sie … Lassen Sie … Adieu, auf Wiedersehen!“ Und nachdem Herr von Berg Friedrichs die Hand geschüttelt hatte, öffnete er selbst die Tür und nickte aus dem Wartezimmer dem Bankier nochmals freundschaftlich zu. – Das Telephon in der Wachtstube des Polizeipräsidiums zu X. läutete Sturm.

„Na – man immer Ruhe,“ brummelte einer der anwesenden Schutzleute, ging gemächlich an den Apparat und hielt das Hörrohr mit gleichgültigstem Gesicht an das Ohr. Kaum hatte er aber einige Sekunden hineingelauscht, als er sich erschreckt zu seinen Kollegen, die in leiser Unterhaltung am Fenster standen, hinwandte, das Hörrohr schnell aufhing und stotternd vor Erregung den andern zurief …

„Es gibt Arbeit … der Bankier Friedrichs ist tot aufgefunden … Stichwunde in der Brust …!“ – Damit war er auch schon hinaus, stürmte die Treppe zum ersten Stock hinauf, riß die Tür zum Zimmer 21 auf und hastete atemlos hervor …

„Herr Kommissar, telephonische Meldung aus dem Friedrichsschen Bankgeschäft: Der Bankier Friedrichs ist soeben tot in seinem Privatkontor aufgefunden worden mit einer Stichwunde in der Brust … außerdem sind aus demselben Zimmer 150 000 Mark verschwunden.“

Kriminalkommissar Richter, der gerade einen „alten Kunden“ vernahm, der schon oft wegen Hehlerei rangekommen war, erhob sich schnell und starrte den Beamten ungläubig an. Der Schutzmann wiederholte nun ruhiger seine erste Meldung, ohne etwas Neues hinzuzufügen.

„Weiteres wurde also nicht telephoniert?“ fragte der Kommissar hastig und warf bereits die vor ihm liegenden Akten in das Schreibtischfach zurück.

„Nein, Herr Kommissar – weiter nichts!“ Dieser überlegte eine kurze Zeit und befahl dann dem Beamten:

„Müller, Sie gehen jetzt zunächst nach Nr. 23 und sagen Herrn Dr. Werres, er müsse sich sofort fertig machen und mich begleiten; dann … ist Behrent da? … schön, der muß auch mit, sagen Sie ihm das. Und nachher

  1. Vorlage: zwanklos
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)