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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

13. Kapitel.

Mehrere Herren betraten das Lokal, grüßten Möller und gingen dann durch das erste Zimmer weiter in den Nebenraum. Einer dieser Herren, der auch Werres eine knappe Verbeugung machte, war der zweite Kassierer des Friedrichsschen Bankinstituts.

„Kennen Sie Herrn Willert?“ fragte der Referendar eifrig.

„Ja, von den Recherchen in der Mordsache her,“ meinte Werres gleichmütig. „Scheint ein recht umgänglicher Mensch zu sein, wenigstens hat er mir damals bei der Vernehmung sehr gefallen.“

Möller räusperte sich. „Herr – wenn ich ehrlich sein soll, mir ist er nicht sehr sympathisch. Ich kenne ihn schon lange – für mich ist er zu ruhig, zu abwartend – zweifellos so ein Charakter, der sich niemandem offenbart.“

„Sollten Sie ihm nicht unrecht tun?“ sagte Werres langsam, aber ohne jeden Nachdruck in der Stimme. Der Referendar fiel auch wirklich auf diese eigentlich recht plumpe Anzapfung hinein.

„Nein, Kollege, dazu kenne ich den Willert zu gut,“ sagte er sich ereifernd. „Wissen Sie, der Mensch ist nun schon seit Jahren mit einem lieben, netten Mädchen heimlich verlobt, hätte die Sache längst veröffentlichen können – warum tut er’s nicht?! Kein Mensch weiß den Grund. Und das arme Geschöpfchen, seine Braut, leidet darunter. Ich kenne sie persönlich, da ihre Mutter, eine Frau Rechnungsrat Schwarz, mit meiner verstorbenen Mutter viel verkehrte. Ich – ich fürchte beinahe, daß dem Willert diese Partie jetzt nicht mehr genehm ist. Das Mädel ist arm, die Mutter Witwe, die beiden Frauen stümpern sich so recht ehrlich durchs Leben! – Denn, unter uns gesagt, Willert hat Schulden – und sicher nicht geringe! Außerdem ist er … na, das ist beinahe indiskret – also Schluß damit! Aber wenn ich an dieses Mädel denke, an seine Braut, da packt mich immer so eine gelinde Wut gegen den Ke… Herrn!“ verbesserte er sich schnell.

Werres war sehr nachdenklich geworden. Er blies den Rauch seiner Zigarette[1] langsam von sich und meinte gutmütig: „Man merkt, daß Sie selbst eine kleine Schwäche für diese junge Dame haben.“

„Das gebe ich zu … Sie ist aber auch wirklich ein so liebes Mädel – und dieser Willert – für den ist sie zu schade, viel zu schade …!“

Werres Gesicht schien unbeweglich wie immer. Aber seine Gedanken reihten blitzschnell das eben Gehörte an seine bisherigen Feststellungen ein; die Kette schloß sich immer mehr. Und während er gleichgültig vor sich hinschaute, triumphierte er innerlich. Was hatte ihm dieser Abend gebracht?! Viel mehr, als er erwarten konnte. Und wie ahnungslos hatte sich dieser Referendar auf den Kassierer reizen lassen – welch glücklicher Umstand, daß Möller in seiner offenbaren Eifersucht sich zu diesen für ihn so wertvollen Äußerungen hinreißen ließ.

Möller sah nach der Uhr. „¾9 … Sie müssen mich schon entschuldigen Kollege – aber ich habe da im Hinterzimmer eine Verabredung.“ Werres horchte auf. Sollte der Referendar etwa auch zu dieser Spielgesellschaft gehören, die ja hier irgendwie in einem besonderen Raum ihre geheimen Zusammenkünfte haben sollte?!

„Schade,“ sagte er bedauernd – „ich freue mich immer, wenn ich einmal einen Bekannten treffe – ich gehe so selten aus …“

Möller schien zu überlegen. Dann sagte er zögernd: „Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, Kollege – aber bitte um Ihre Diskretion.“

„Die sollen Sie haben …“

„Also – hm – da im Hinterzimmer findet sich so allabendlich eine geschlossene Gesellschaft zusammen – einige Kollegen, Offiziere, reiche Kaufmannssöhne, bisweilen auch ein Herr Agrarier – und – nun schrecken Sie nicht zusammen – es wird gespielt!“

„Zusammenschrecken?! Ich bin früher in besseren Zeiten auch eine wütende Jeuratte gewesen,“ meinte Werres ruhig.

„So? Das wundert mich eigentlich bei Ihrer durch nichts zu erregenden Gemütsart. Da sieht man aber wieder – das Jeu hat selbst die verständigsten Leute in seinen Klauen … Also es wird gespielt, nicht gerade sehr hoch, aber die hochwohlweise Polizei dürfte doch nicht dahinter kommen, schon des Wirtes wegen! Wenn Sie wollen, ich führe Sie ein. Es ist eine ganz fidele Gesellschaft – und Sie brauchen ja nicht mitzuspielen – nur eben Diskretion!“

Werres tat, als überlege er sich die Sache noch. Dann meinte er: „Wenn Sie so liebenswürdig sein wollen, Kollege – mir ist’s nämlich noch zu früh heimzugehen und auch zu langweilig, hier allein Zeitungen zu lesen.“ –

Sie beglichen ihre Rechnung, gaben dem Kellner noch einen Wink, daß er ihre Sachen in das Hinterzimmer bringen sollte und gingen dann durch den zweiten Raum und über einen langen Korridor auf eine Tür zu, an der ein Schild mit der Aufschrift – „Privatwohnung“ hing. Möller klopfte an und die Tür öffnete sich. Sie traten ein. Es war ein großes zweifenstriges Zimmer, darin ein Kronleuchter, drei Tische, zwei hochlehnige Paneelsofas und einiger Wandschmuck, der darauf schließen ließ, daß bei der Dekoration dieses Raumes mehr Geschmack und mehr Geld aufgewendet war als drüben in dem vorderen Lokal. Die Tür nach dem Korridor hatte man mit einer dicken Wollportiere verhängt – wahrscheinlich um den Schall abzudämpfen. Möller stellte seinen Begleiter vor und meinte dann mit erhobener Stimme in seiner kalaurigen Art: „Meine Herren, für uns den harmlosen Kegelklub „Arbeit“ ist heute ein wichtiger Tag, da wir heute zum erstenmal einen Vertreter der heiligen Hermandad in unserer Mitte begrüßen dürfen – Herr Referendar Dr. jur. Werres, Hilfsarbeiter der Kriminalabteilung unseres Polizeipräsidiums! Der Herr Gast gehört also sogar zu der gefährlichsten Zunft: Kriminalabteilung! – Ich habe den Herrn natürlich“ – fügte er ernst hinzu – „in der üblichen Weise zum Schweigen verpflichtet.“ –

(Fortsetzung folgt)
  1. Vorlage: Zigarrette
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/28&oldid=- (Version vom 31.7.2018)