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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

Der Doppelgänger


Kriminalroman von Walther Kabel


(Nachdruck verboten)

(8. Fortsetzung)

Als Werres abends wiederkam, war der vordere Raum noch ziemlich leer. Nur an zwei Tischen saßen zwei einzelne Herren und lasen bei einem Glase Bier ihre Zeitungen. Werres suchte sich seinen Platz so aus, daß er die Tür im Auge behalten und auch das Nebenzimmer möglichst überblicken konnte, aus dem lautes Stimmengewirr hervortönte. Da saßen in einer Ecke an einem großen, runden Tisch ungefähr ein Dutzend älterer Herren, – ein fester Stammtisch von Ärzten und Juristen, wie Werres nachher von dem Kellner erfuhr. – Zuerst bestellte er sich einen halben Liter „Münchener“ und ließ sich dann die Speisekarte geben. Der Kellner brachte ihm ohne Aufforderung eine Abendzeitung, in die sich der Doktor, nachdem er bestellt hatte, anscheinend vollständig vertiefte.

Die Tür öffnete sich und ein neuer Gast, ein kleiner korpulenter Herr mit kurzgehaltenem, dunklem Vollbart und einem Zwicker auf der Nase erschien und schaute sich ungeniert nach einem ihm genehmen Platze um. Plötzlich setzte er sich Werres gegenüber an die andere Seite des Zimmers, verlangte ein Glas Grog und putzte dann umständlich seinen Zwicker, ohne sich um die Anwesenden zu kümmern. Als er damit fertig war, erhob er sich schwerfällig und suchte sich von den an einem Ständer hängenden Zeitschriften einige heraus.

Werres hatte den Eintretenden schnell und scharf gemustert; und plötzlich flog’s wie ein Erkennen über sein Gesicht. Aber ruhig las er seine Zeitung weiter und kein einziger Blick traf den korpulenten Herrn, der sich nun ebenfalls hinter das große Format eines Berliner Blattes verborgen hatte. – Werres hielt den Kopf gesenkt, denn das Lächeln auf seinem Gesicht verstärkte sich wieder zu diesem Ausdruck überlegenen Hohnes, das seine gleichmütigen Züge immer entstellte, wenn er einer Dummheit seiner Mitmenschen auf der Spur war. Er hatte den Kriminalbeamten Behrent erkannt, der bei seiner sonst ganz gelungenen Maskierung leider nicht mit den allzuguten Augen des Doktors gerechnet zu haben schien. – Werres Gedanken arbeiteten blitzschnell. Während er auf dieselbe Stelle seiner Zeitung hinstarrte, ohne weiter zu lesen, überlegte er. – War es Zufall, daß Behrent hier so kurz nach ihm erschien, oder – und Werres blieb beinahe der Atem weg – sollte dieser gar nicht untalentierte Beamte dieselbe Fährte verfolgen wie er?! – Ich werde mir bald darüber Gewißheit verschaffen, beruhigte er sich und versuchte seine Lektüre fortzusetzen. Aber sein an schnelle Kombinationen gewöhnter und jetzt durch die Gegenwart des Kriminalbeamten angeregter Geist ließ sich so leicht nicht ausschalten. Er legte die Zeitung beiseite, da gerade der Kellner ihm das Essen zu servieren begann, und begann dann langsam seine Mahlzeit. Während er vorsichtig das Fleisch von der Gänsekeule löste, spielten seine Gedanken weiter … Nein – es ist unmöglich, Behrent kann nicht denselben Verdacht haben. Wie sollte er auch? War’s doch mehr ein glücklicher Zufall, daß ich so schnell diese Spur fand … Wenn Behrent etwas ahnte, das Richtige ahnte, dann würde mich Richter nicht in einer für ihn so demütigenden Weise ausgefragt haben, da ja der Kommissar und jener immer

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/26&oldid=- (Version vom 31.7.2018)