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Unregelmäßigkeit des Baues nicht gestört, im Gegentheile bildet sie eine der vorzüglichsten Annehmlichkeiten dieses Felsensitzes. Die Burghalle oder der Rittersaal ist das stattlichste Zimmer im Schlosse, und enthält eine Menge alterthümlicher Waffen und Geräthschaften, nicht weniger andere seltene Gegenstände. – Der Kamin ist mannshoch und entbehrt des Madelabers, welchen die jetzigen haben, aber seine echt alterthümliche Form entspricht dem Ganzen trefflich. Die Deckenleuchte ist originell und besteht aus einer Menge kreisförmig geordneter Gemshörner, worin sich Lampen befinden. In einer Ecke des Saales stand ein antiker Wasserbehälter mit einem Hahn, unter welchem eine Schaale zum Auffangen der Tropfen steht. Die Sessel, Tische und Schränke waren alle massiv aus Eichenholz geschnitzt, die Sitze und Lehnen enthielten reiche Goldstickereien, welche Zeichnungen der königlichen Familienwappen vorstellten und von verschiedenen Gliedern derselben gearbeitet worden waren. Wir machten hierauf die Runde durch die Zimmer und konnten den alterthümlichen Geschmack nicht genug bewundern. Die Lagerbetten standen in dazu bestimmten Vertiefungen oder Nischen der Mauern, in einigen Schlafzimmern fanden wir jedoch Luxus-Artikel, die zu entschieden das Gepräge der gegenwärtigen Verfeinerung trugen, um für mittelalterlich gelten zu können. Dann erstiegen wir vermittelst einer Treppe einen der Thürme, welchen sie umkreist; sie ist einfach wie alle übrigen, aber merkwürdig. Die Plattform des Thurmes ist dreihundert Fuß über dem Rheinspiegel, welchen wir meilenweit überblickten; die Gegenstände erschienen aber wegen ihrer weiten Entfernung nur in ihrer halben natürlichen Größe und zeigten so ein vielgestaltiges Miniaturbild. Dieser Thurm steht am äußersten Rande des grauenerregenden Absturzes. Es war eine hochherzige Idee des Prinzen von Preußen, diese Burg herstellen zu lassen und zu bewohnen, er hat sich dadurch nicht allein die Zeitgenossen, sondern auch die kommenden Geschlechter zu Danke verpflichtet, und ich werde meines Theils die Stunde, in welcher ich die Anschauung dieses steinernen Heldengedichtes genoß, stets zu den glücklichsten meines Lebens zählen.

Wir fuhren sodann auf Bingen zu und waren bald nachher auf nassauischem Gebiet. Wir hatten eine schöne Ansicht vom Schlosse Johannisberg, dessen schneeweiße Mauern im Strahle der sinkenden Sonne erglänzten. Es gehörte bis zur ersten französischen Revolution einem geistlichen Orden, aber der jetzige Besitzer, Fürst Metternich, hat alle