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wie versteinert saß. Eine Dame, welche auf den Stufen eines Hauses das Oeffnen der Thüre erwartete, wandte uns ein von ekelhaften Ausschlägen überdecktes Gesicht zu und starrte mich mit einer gespenstischen Regungslosigkeit an. Trotz meines Schreckens erkannte ich doch sofort Mistreß H. in ihr, die einst zu mir sagte, daß jedes englische Herz die Deutschen wie den Aussatz hasse und die mir und der unglücklichen Westindierin eine Schale dünner Milch entriß, um sie ihren Schweinen zu geben. Ist hier die Strafe des Himmels nicht sichtbarlich ausgedrückt? An dem schreckhaften Zucken ihrer Gesichtsmuskeln und ihrem raschen Umdrehen bemerkte ich, daß mich die Mänade erkannt hatte und meine Erscheinung sie schmerzlich berührte. Was half nun der Elenden ihr Reichthum, ihr wahrhaft teuflischer Hochmuth und ihre Grausamkeit? Meine glatte Haut genügte, mir einen vollständigen Triumph über sie zu verschaffen. – Ich erhielt ohne Schwierigkeit die gewünschte Bescheinigung[WS 1] von meinem ehemaligen Sachwalter, worauf mir der sächsische Consul, Herr C., sogleich einen Paß ausfertigte. Als Alles zur Abreise fertig war, nahm ich von Fräulein Ch. Abschied und verfügte mich zu Fräulein M., mit der ich nach englischer Sitte um sechs Uhr das letzte Mittagsmahl einnahm.




Elftes Kapitel.




Es war an einem schwülen Sommerabend, zu Anfang August, als wir der Themse zufuhren, um uns einzuschiffen. So lange wir uns in West-Ende von London befanden, sahen wir überall nur Gegenstände, welche von Reichthum und Bildung zeugten[WS 2]: breite, reinliche Straßen, schöne Kirchen, Häuser und Paläste, reizende Plätze und prachtvolle Monumente, glänzende Equipagen und geputzte Fußgänger. Ganz anders war es, als wir in’s Ost-Ende kamen, hier waren die Häuser alt und unregelmäßig, die Straßen schmutzig und eng, die Bevölkerung bestand aus den untersten Gewerbsleuten, Arbeitern und Juden; man sah überall zweideutige Gesichter jedes Alters und Geschlechts, viele Betrunkene darunter; stinkende Fisch- und Fleischläden verunreinigten die Luft, und von

Anmerkungen (Wikisource)

  1. in der Vorlage: Bescheigung
  2. in der Vorlage: zeigten