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bald, daß eine reiche Dame eine Reisegesellschafterin auf drei Monate suche und zwar zu einer Reise in Deutschland. So war zugleich mein sehnlichster Wunsch erfüllt, die Meinen und mein Vaterland einmal wiederzusehen. Fräulein Ch. und ich waren gerade bei einem frühen Mittagsmahl, als eine glänzende Equipage vorfuhr und der dazu gehörende Bediente nach englischer Sitte durch sein donnerndes Klopfen – double wrap – die Aufmerksamkeit der Nachbarschaft erregte. Das Dienstmädchen flog hinunter und empfing einen Brief, an mich adressirt, welchen ihr die Dame im Wagen gereicht hatte. Er war von Fräulein M., welche mich bat, ihr mich vorzustellen. Ich besuchte sie zu der von ihr bestimmten Zeit und ward augenblicklich sehr freundlich angenommen. Fräulein M. war eine Dame in den Vierzigen, mittler, sehr hagerer Gestalt, mit einem sehr lebhaften und gutmüthigen Gesicht. Sie redete mich sofort deutsch an, befragte mich über meine bisherige Stellung, meine Kenntnisse und Leistungen, dann sprach sie französisch, italienisch und spanisch, welches letztere ich seit einiger Zeit zu meinem Vergnügen getrieben hatte, und prüfte mich sehr umständlich in der Literatur und Geschichte der betreffenden Länder. Nach einer förmlichen Prüfung von zwei Stunden erklärte sich Fräulein M. vollkommen befriedigt durch meine Leistungen, und sagte, daß sie ihre Reise so lange habe verschieben müssen, weil unter allen Gesellschafterinnen, die sich ihr seit Monaten vorgestellt, nicht eine ihren Ansprüchen genügt habe. Sie versprach, nach Eingang der voraussetzlich günstigen Zeugnisse von Mistreß E. und S. mich sofort zu engagiren und alles Weitere bis dahin zu verschieben. Da ich mich in Bezug auf Empfehlung und Ruf sicher fühlte, so gab es keinen froheren Menschen in England als mich. Meine Freundin, die unterdessen Erkundigung über Miß M. eingezogen hatte, erzählte mir, daß sie reich und Dichterin sei, auch viel in’s Englische übersetzt habe, und wünschte mir Glück zu dieser auserlesenen Bekanntschaft. Die Zwischenzeit bis zum Eintreffen neuer Nachrichten verwandten wir auf Besichtigung der berühmtesten Kirchen und anderer Merkwürdigkeiten.

Zuerst kam die Paulskirche an die Reihe. Zum Besuche dieses nach der Peterskirche zu Rom größten Domes der Christenheit wählten wir einen heitern Sonntagsmorgen und wohnten dem Gottesdienste bei, welcher hier täglich zwei Mal gehalten wird. Der Klang der riesigen Orgel, begleitet von dem Schalle der Trompeten, Posaunen und