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Witz, Frohsinn, viel Verstand mit Herzensgüte gepaart; dabei war sie sehr hübsch, hatte lebhafte Augen, feine regelmäßige Züge und eine symmetrische Mittelgestalt. Mary hingegen war schön zu nennen; auf ihrem blendend weißen Gesicht mit den großen dunkeln Augen thronte eine erhabene Ruhe, jede ihrer Bewegungen war anmuthig, ihre Gestalt ein Modell reiner Formen. Ellen war ein Ideal stiller Sanftmuth und Lieblichkeit; auf ihrem blüthenweißen Gesicht schimmerte der leiseste Hauch von Roth wie Morgenlicht, ihre großen dunkeln Augen strömten reines Wohlwollen aus, ihre Schönheit bestand in der Unschuld des Ausdruckes. Obgleich sie mit vielem Scharfsinn begabt war, so enthielt sich doch ihr menschenfreundliches Herz jedes strengen Urtheils, es schloß sich nur, wie die Gefühlspflanze bei der Berührung sich schließt, vor denen, welche ihrem Maßstabe von Gediegenheit nicht entsprachen. – Henriette hatte den Kopf eines Engels des Fra Giovanni da Fiesole, von goldenen Locken umflossen, aus welchem große braune Augen schelmisch blickten. Ihr Gemüth war biegsam und anschmiegend, meines Herzens Freude und Glückseligkeit. – Körperlich am wenigsten ausgestattet war Pauline; ihr Gesicht trat neben der Schönheit ihrer Schwestern in Schatten, aber ihr Herz besaß alle die Tugenden, welche das Weib dem Engel ähnlich machen; ihre schöne Seele freute sich nur über die Vorzüge der Ihrigen, welche manches andere Mädchen mit Mißgunst erfüllt hätten.

Um sieben Uhr Morgens versammelten wir uns zum gemeinschaftlichen Gebete; dann badeten wir im Meere und gingen spazieren. Unsere Lektüre bestand zumeist aus wissenschaftlichen Werken, welche wir wechselseitig vorlasen, während sich die Anderen mit Handarbeiten beschäftigten. Da wir Alle musikalisch waren, so hatten wir einen kostbaren Flügel gemiethet und führten des Abends die herrlichsten Programme aus, wobei sich immer ein Schwarm von Zuhörern um unser Haus versammelte. Auch bekamen wir oft Besuche von Brüdern und Verwandten meiner Eleven, welche stets mit ruhigen Ergötzlichkeiten gefeiert wurden. Nach drei Wochen verließen uns Mary und Pauline, wie bereits erwähnt, und das Einleben der zwei neuen Ankömmlinge gewährte neuen Reiz. So vergingen denn sechs glückliche Wochen, während welchen wir uns unendlich theuer wurden, so daß meine jungen Freundinnen mich auf’s neue baten, ihre Erzieherin zu werden, obgleich Mistreß S. dieses Amt seit mehreren Jahren bei ihnen vertrat. Als