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In der festen Ueberzeugung, daß kein Unternehmen ohne Gottes Segen gelingen könne, hatte ich mir vorgenommen, das Gebet und die Religion überhaupt zur Grundlage meiner Erziehung zu machen, und mittelst dieser allein durfte ich hoffen die starren Gemüther der mir anvertrauten Kinder zu erweichen und zu zähmen; allein ich stieß bei Charlotten und Georginen auf denselben Widerstand und dieselben Schwierigkeiten. Sie erschienen sehr unregelmäßig im Schulzimmer und legten einen entschiedenen Widerwillen gegen dieses System an den Tag. Dazu waren sie so eigenmächtig, daß sie alles vornahmen, ohne es je der Mühe werth zu halten, Erlaubniß einzuholen. Charlotte war herrschsüchtig und widerspenstig, Georgiana übermüthig und wild, schlug Purzelbäume und sprang über Tisch und Stühle wie ein Affe, wobei sie so laut lachten, daß meine Ermahnungen verhallten. Dieser Verwilderung lag mehr als eine Ursache zu Grunde. Erstens war Mistreß E. schon seit mehreren Jahren Wittwe und entbehrte daher der Unterstützung, welche ein Gatte und Vater allein zu gewähren vermag. Zweitens führte sie das Geschäft ihres verstorbenen Mannes fort, welches in einer Wechselbank in St. bestand, und brachte den ganzen Tag darin zu. Kam sie nun nach Hause, so war sie nicht aufgelegt, Klagen über ihre Kinder anzuhören und das Strafamt zu üben. Meine Stellung war daher eine höchst schwierige, ungeachtet die Dame alle meine Schritte und Maßregeln billigte und mir nie zuwiderhandelte.

Ich begann meinen Unterricht mit einer gründlichen Prüfung über die einzelnen Gegenstände, und hatte die Befriedigung, zu finden, daß die Kinder ausgezeichnete Fähigkeiten und treffliche Grundlagen besaßen. Nachdem ich ihre Gaben und Talente ermittelt hatte, bestrebte ich mich, ihre Ansichten und ihren Geschmack zu läutern und sie für das Streben nach Vollkommenheit zu begeistern.

Hatte ich nun in meiner neuen Stelle mit Schwierigkeiten zu kämpfen, denen bisweilen meine physische Kraft zu erliegen drohte, so genoß ich auch wieder Annehmlichkeiten und Vortheile, die mir unendlich wohl thaten. So z. B. behandelte mich Mistreß E. bei jeder Gelegenheit wie ihre Tochter, und da sie ein höchst geselliges Leben führte, so boten sich mir unzählige Genüsse, welche mich das Leben, die Menschen und mich selbst praktischer als bisher auffassen ließen. Es verging selten eine Woche, wo Madame nicht zwei bis drei Diners oder auch wohl einen Ball gab, und da die dortige Nachbarschaft eine in jeder