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auf ein so geringes Quantum, daß die Kinder – außer den Lieblingen Georgiana, Charlotte und Richard – die ekelhaftesten Dinge aus Hunger verzehrten. Sie selbst setzte ihr ausschweifendes Leben fort, und es war zu verwundern, daß dieses und ihre Gottlosigkeiten nicht bekannt wurden, denn wäre dies geschehen, so hätten sich ihre hohen Freunde, worunter die Familie des Herzogs von P. die einflußreichste und mächtigste war, gewiß von ihr zurückgezogen. – Im Verlaufe des Winters verließ uns Miß Ch. und an ihre Stelle trat Miß B., die gegen die schaamlose Aufführung der Lady und die Knauserei der Einrichtungen sofort heftig remonstrirte, ohne dadurch etwas anderes als beleidigende Chicanen zu erzielen. – Ihr folgte nach der Season Mistreß D. und so wechselten Gouvernanten und Dienstpersonal unaufhörlich, nur ich blieb wie ein Galeerensklave an meine Kette angeschlossen, ich hatte keine Hoffnung, meinem Schicksale zu entrinnen, und schon waren vier Jahre unter Qualen und im fürchterlichen Einerlei verstrichen. Dazu kam, daß ich von Karl keine Antwort erhielt, so oft und dringend ich ihn auch darum bat, und ebenso stumm blieben meine wenigen Freunde in England. Mitten in dem unermeßlichen Menschenmeere Londons lebte ich dennoch in trostloser Einsamkeit. Die Lady hatte mich von der Außenwelt völlig abgesperrt, ich konnte wegen ihrer Maßregeln längst nicht mehr das Haus verlassen, wenn ich nicht auf die Straße hinausgesperrt sein wollte. So lautete ihre Drohung, ihre Verheißung hingegen: „Bleiben Sie bis nach vollendeter Erziehung meiner Töchter in meinen Diensten, so erhalten Sie auf meiner Besitzung H. in Derbyshire lebenslänglich freie Wohnung und eine gute Pension.“

So waren vier Jahre verflossen, als Miß Emily Ch. erste Gouvernante bei uns ward. Sie war eine Dame von anscheinend vierzig Jahren, obgleich sie sich für dreißig ausgab; da ihr Vater ein berühmter Advokat gewesen war, so besaß sie von Hause aus bedeutende Connexionen und hatte ihre Laufbahn als Erzieherin unter sehr glücklichen Umständen begonnen. Sie war stets in hohen Häusern gewesen und wurde von diesen sehr wirksam unterstützt, besaß aber auch eine Unabhängigkeit und Sicherheit, wie ich sie noch an keiner ihrer Vorgängerinnen bemerkt hatte. Sie ging und kam nach Belieben, empfing alle Tage Besuche beider Geschlechter, und durch sie lernte ich auch die Gattin des bekannten Doctors B. R. kennen, die früher Erzieherin gewesen war und ihre Memoiren unter dem Titel The Govorness