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Lady immer mehr als zerrüttet heraus, der Tisch im Schulzimmer und manche andere Bedürfnisse wurden immer mangelhafter. Nichtsdestoweniger hing sie ihrer Putz- und Vergnügungssucht nach, kein Luxusartikel war ihr zu theuer und bei Hofe und in anderen Gesellschaften entfaltete sie die größte Pracht. An Erziehungsmitteln ließ sie es jedoch nicht fehlen; ein Kapellan der Königin Victoria ertheilte den Kindern Unterricht in Religion, Naturlehre, Algebra und Mathematik, woran Fräulein J. und ich Theil nahmen; Herr H…, einer der ersten Musiklehrer Londons, lehrte Piano und Theorie, Madame G… unterrichtete in der Tanzkunst, und Signora P…, eine Römerin, im Italienischen. Nur eine Stunde des Tages gingen wir spazieren, alle übrigen hatten ihre Bestimmung, an welche eine Wanduhr im Schulzimmer erinnerte. Höchst wohlthätig wirkte das Beispiel der J. auf mich wie auf die Kinder, ihre Gerechtigkeit, Beständigkeit und Entschiedenheit, wie ihr seltener Scharfblick und ihre Pflichttreue erregten meine Bewunderung. Sie ließ sich nie zu einer Hätschelei gegen die vergötterte Georgiana oder zu einer Zurücksetzung gegen die unterdrückte Lavinia bewegen, und hatte sie einmal ein Mittel gewählt, so verfolgte sie es beharrlich. Ihr Blick drang in die geheimsten Falten, sie überraschte so zu sagen die Gedanken, und Niemand konnte ihr eine Nachlässigkeit nachweisen. Ihre Zucht war eine vollkommen militairische; nie plauderte oder scherzte sie mit ihren Zöglingen und lobte sie selbst dann nicht, wenn sie es verdienten. Daher der große Respekt, den sie genoß und der an Ehrfurcht grenzte. Alles dieses wäre indessen nicht so gewesen, hätte sie auf Widerstand der Mutter gestoßen, dieser aber imponirten die mächtigen Gönner und glücklichen Familienverhältnisse ihrer Erzieherin, und sie vermied daher jede, auch die geringste Reibung mit ihr. Im Frühjahre verließ uns leider dieses ausgezeichnete Frauenzimmer und trat in eine gräfliche Familie als Gouvernante ein; Niemand empfand ihren Verlust mehr als ich.

Fräulein Ch., die nächste englische Gouvernante, hatte das Unglück, lahm, kränklich und nervös zu sein; das daraus entspringende unbeholfene ängstliche Wesen bildete einen zu grellen Gegensatz zu der einfachen Würde und der Energie ihrer Vorgängerin, als daß die Kinder nicht augenblicklich hätten bemerken sollen, daß eine schwache Hand die Zügel ihrer Erziehung führe. Der Vergleich fiel allzu sehr zum Nachtheile der Miß Ch. aus und die Mutter unterstützte sie so wenig, daß meine