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bei den schwersten Verbrechen besteht; wie kommt sie in die Kinderstube? was ist das für eine „Sünde“, deren sich die armen Geschöpfe sollen schuldig gemacht haben?“

Das Weib erzählte mir jetzt mit der Wuth eines Inquisitors, daß die Kinder sich sämmtlich dem Laster der Selbstbefleckung hingäben, und als ich dies bezweifelte, drohte sie mir mit dem Zorne der Lady. So scharf ich aber auch von jetzt an Georginen in’s Auge faßte und sorgfältigst beobachtete, konnte ich doch nie etwas Unanständiges an ihr bemerken. Eines Tages ließ mich die Lady rufen, Sir Charles war auch zugegen und sie redete mich barsch an: „Ich habe Sie zur Beaufsichtigung meiner Kinder engagirt, und damit Ihnen dieselbe gelinge, Sie von ihren Verirrungen in Kenntniß setzen lassen. Aber Sie scheinen Ihre Pflicht nicht zu thun, denn Georgiana treibt ihre Unart so arg als je. Sie müssen dies entweder verhüten oder wir müssen uns trennen, denn wenn Sie die Eine nicht überwachen können, was soll werden, wenn die übrigen kommen?“

„Milady, erwiederte ich ruhig, ich habe Georgiana wie meinen Augapfel bewacht und verbürge mich dafür, daß sie nichts Unrechtes gethan hat.“

„Es sind aber Beweise vom Gegentheile da; nicht wahr, Sir Charles?“ sagte sie, sich an Diesen wendend.

„Gewiß,“ sagte dieser, und die Dame gab mir jetzt eine so umständliche Beschreibung der Thatsache, daß mich eine Ohnmacht anwandelte; sie fügte auch zu meiner besseren Belehrung ein Buch von dem Franzosen Dr. Riofray hinzu und gebot mir, es aufmerksam zu lesen. Ich verwünschte meine Armuth und empfand einen wahren Lebensüberdruß. Vielleicht, sagte ich zu mir selber, giebt es keine zweite Familie in England, wo dieses Laster herrscht, und gerade mich mußte es treffen, hierher zu kommen! Vielleicht giebt[WS 1] es keine G’s. und keine Mistreß H. mehr, aber gerade mich mußte das Schicksal ihnen in die Hände spielen! In demselben Augenblicke fiel mir aber auch ein, daß ich in Brüssel mein Glück zwei Mal von mir gestoßen und die Vorstellungen meines edeln Freundes Karl T. verachtet hatte. Ich hatte ihm seit meinem Eintritt in dieses Haus zum ersten Male geschrieben, die Scham hatte mich abgehalten, ihm mein Unglück zu melden, jetzt erhielt ich eine Antwort, die mir alle meine Geistesfrische wiedergab. Sein Schreiben war ganz Liebe zur Kunst und zu mir; er hatte Italien gesehen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. in der Vorlage: gibs