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bemerken, daß Lady N. sich stets als Gräfin M… einschrieb. Sie erzählte mir bei einer solchen Gelegenheit, daß ein Ahnherr ihres Gemahls diesen Titel von dem Großherzog Cosmo dei Medici erhalten habe, weshalb er in der Familie erblich sei, daß der honorable Lord N. ein jüngerer Zweig der gräflichen Familie A… und sie selbst die Tochter des irischen Grafen L… sei. Im Umgange mit mir fand ich diese Dame meist liebenswürdig, bis auf gewisse Launen, denen ich auch die Inconsequenz hinzurechnete, womit sie ihre Tochter behandelte. So begriff ich zum Beispiel nicht, weshalb diese bisweilen Morgens, wenn sie ihre Mutter besucht hatte, weinend und so grausam zerschlagen zurück kam, daß sie weder sitzen noch gehen konnte. Ich hätte ein steinernes Herz haben müssen, wenn ich nicht auf das Schmerzlichste hätte ergriffen sein sollen, namentlich da ich nicht die geringste Ursache zu solcher barbarischen Strafe an dem reizenden Wesen fand. Indessen konnte ich lange keine erklärende Antwort auf meine Fragen erhalten, und gewöhnlich überhäufte ihre Mutter sie in der nächsten Stunde mit Liebkosungen und Geschenken.

Eines Tages kam Frau M…, Lady Georgiana’s Kammerfrau, zu mir und sagte, daß sie von ihrer Dame beauftragt sei, über einen Gegenstand mit mir zu sprechen, der ihr als Mutter schmerzlich sei, zugleich lasse sie mich aber dringend bitten, Georgiana und künftig alle ihre Kinder auf das strengste zu überwachen, weil sie sich einer Sünde hingäben, welche den Körper und schließlich auch den Geist zu Grunde richte.

„Aber was ist denn das für eine Sünde? fragte ich mit der äußersten Spannung; ich habe sie stets im Auge und habe doch noch nicht das mindeste Unrechte an ihr bemerkt.“

„O, Sie glauben nicht, sagte die Kammerfrau, wie verderbt alle diese Kinder sind! es vergeht kein Tag, wo sie ihr Laster nicht treiben, Milady und ich sehen es ihnen gleich an den Augen ab, und dann müssen sie es gestehen, und thun sie es nicht gutwillig, so prügeln wir sie, bis sie haarklein erzählen. Sie glauben nicht, wie schwer es manchmal hält, zuweilen sind wir beide so müde vom Zuhauen, daß wir die Arme nicht mehr rühren können.“

Bei dieser empörenden Mittheilung wurde mir schwarz vor den Augen: „Ist es möglich, rief ich aus, daß eine Mutter ihre Kinder so foltern kann? Sie sagen selbst, daß die Kinder geschlagen werden, bis sie gestehen; das ist Tortur, die in der ganzen civilisirten Welt nicht