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ihre Kinder „eine seltene Erzieherin“, „eine Gouvernante von den umfassendsten Kenntnissen“, an mir hätten, daß man sich nun nicht mehr über die glückliche Entfaltung ihrer Anlagen u. s. w. zu wundern brauche.

Einen imposanten Eindruck machte bei diesem Familienfeste der Aufzug mehrerer hundert berittener Landleute, die auf ihren mit Blumen und Bändern geschmückten Pferden den Zug der Wagen noch aus der Kirche begleiteten. Der Bräutigam spielte dann beim Volksfeste den Herzstürmer, suchte sich eine ländliche Zerline heraus und spielte einen ziemlich ergrauten Don Juan, der die seltsame Eigenschaft besaß, eine unglaubliche Menge Kuchen zu essen.

Da meine Stellung durch das unerhörte Benehmen der Dame des Hauses eine immer bedrängtere wurde, so faßte ich endlich den Entschluß, derselben baldigst ein Ende zu machen, denn ich hatte nicht die entfernteste Hoffnung auf Besserung derselben. So viel Bosheit ich auch in England unter den Frauen gefunden hatte, so übertraf die der Frau v. K. doch alles, und es ist ein schmerzlicher Gedanke, daß in Deutschland vielleicht mehr solche Megären sich finden. – Niemand, der so wie eine Erzieherin die innersten Seiten der Familien beobachten kann, ist im Stande, das Demelé der Sitten in den oberen Schichten so zu beurtheilen, es ist so düster, daß gewisse Parthieen ewig unsichtbar bleiben. Wer will z. B. es schildern, wenn Familienhäupter, erwachsene Söhne, ja sogar Hausfrauen den Gouvernanten ansinnen, nicht allein Priesterinnen der Pallas Athene, sondern auch der Venus zu sein? wenn eine Mutter der Erzieherin ihrer jüngeren Kinder den schamlosen Antrag macht, einem älteren Sohne „aus Gesundsheits-Rücksichten“ gefällig zu sein, und die das tugendhafte Weib, das sich mit Indignation abwendet, darum auf das grausamste verfolgt? Sie weiß ja doch, daß solche Frevel unenthüllbar sind. –

Zu Johannis kam Frau v. K. meinen Wünschen durch die Frage zuvor: „Sie scheinen sich in meinem Hause nicht glücklich zu fühlen?“

Es fehlte wenig, so hätte ich ihr die Gegenfrage gestellt, ob in der Hölle auch noch von Glück die Rede sein könne? Ich bekämpfte jedoch mein Gefühl und erwiederte: „Gnädige Frau, Sie werden nicht staunen, wenn ich mit einem entschiedenen Nein antworte.“

Nichtsdestoweniger sah mich die Dame mit sehr weit geöffneten Augen an und sagte gedehnt: „So? Nun, dann ist es wohl am besten, wir trennen uns?“