Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/355

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

sie meinte, daß sie Ernestinen dies nicht zumuthen könne, weil ihr Geschmack schon zu entschieden sei; jedoch fand sie meinen Plan für Mathilden ganz zweckmäßig. Hierauf gab sie mir Dodderidges Rise and Progress[WS 1] of religion in the soul – Dodderidges Entstehung und Fortschritt der Religion in der Seele – mit der Bemerkung, daß mit dem Lesen dieses Buches gleich das Studium der englischen Sprache verbunden werden könne. Ein Beweis, welches Gewicht diese Dame auf die Beförderung der Erbauung bei ihrer Tochter legte, die kaum den dritten Theil der Worte, geschweige Sinn und Zusammenhang des Gelesenen verstand! – Außer Mathilde hatte ich noch den sechszehnjährigen Gustav im englischen, französischen und italienischen zu unterrichten, außerdem kam mehrere Nachmittage in der Woche ein Pfarrer W. mit seiner Tochter auf das Gut, um diese mit Mathilden gemeinschaftlich zu unterrichten, weil diese einen Sporn haben mußte in der Person einer fremden Mitschülerin. Diese Pfarrerfamilie bildete den bürgerlichen Pendant zu den Narrheiten der adeligen, das Echo für die ritterlichen Devisen der lächerlichen Don Quixote unseres Edelsitzes. Diese W.’s waren der Conductor aller Gnaden, nur über den Leib des Herrn Pastors führte der Weg zu Herrn v. K., nur über den Pantoffel der Frau Pastorin gelangte man zum Herzen der Frau v. K. Diese ließ sich unmäßig gern die Hände küssen, folglich mußte jeder Petent auch die Hände der Frau Pastorin küssen. Herr v. K. hatte tiefe Verneigungen sehr gern, daher mußte man sich auch vor dem Herrn Pfarrer tiefst verneigen, wer es nicht that, dem ging es wie dem Mordochai, denn es giebt leider auch schwarzröckige Hamane.

Zum unendlichen Aerger sämmtlicher Damen des Ortes wie der Nachbarschaft und nicht minder zu meinem eigenen wetteiferte die gesammte Männerwelt, mich zu protegiren, aber so sehr ich mich auch bemühete, diese Patronate von mir abzuwehren, so erregte dies doch die wüthendste Eifersucht aller Frauen. Rechnet man nun hinzu, daß ich erstens die Hände nicht küßte, zweitens die Unarten der Kinder strafte, drittens nicht schmarozte, und nun viertens die Gunst der Männer ganz ungesucht fand, so wird man die Ungnade der Schönen begreiflich finden.

Eines Tages, als ich mich gerade in der Familie befand, meldete der Diener einen Herrn v. C., und im nächsten Augenblicke sprang ein kreuzfideles Kerlchen wie ein Laubfrosch herein, stolperte ungeschickt wie

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Rogress