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Aufgabe gemacht, in Gang, Haltung, Sprache und Bewegung so gemein wie irgend möglich zu erscheinen. Erzählte sie etwas, so schlug sie wie ein Bauer beim Spiele auf den Tisch, gab ich ihr einen Verweis, so stampfte sie wüthend mit den Füßen, fluchte und schimpfte wie ein Landsknecht und rannte davon, um mich bei der Mutter zu verklagen. Dieses war der „Engel,“ der mir so bezaubernd war geschildert worden! Solche Affenliebe hatten die zwei alten Närrinnen von Großmutter und Mutter für dieses verwahrloste Mädchen, daß sie die häßlichen Fehler desselben für leuchtende Tugenden hielten. Welch ein Gemälde der vornehmen Welt, ihrer Verrücktheit, Schlechtigkeit und Gemeinheit müßte entstehen, wenn nur hundert Erzieher und Gouvernanten talent- und muthvoll genug wären, ihre Erlebnisse wahrheitsgetreu zu schildern und der Oeffentlichkeit zu übergeben! Durch die erste Rüge der Unarten Mathildens hatte ich mir den Unwillen der gnädigen Mama zugezogen, sie behandelte mich von nun an ganz en bagatelle, und um mir zu beweisen, daß ich nicht über ihren Kindern, sondern unter ihnen stehe, mußte ich von nun an bei Tische zu unterst sitzen. Ich besaß jedoch zuviel Selbstbewußtsein, um von solchen Kniffen hirnverbrannten Junkerthums nur im Mindesten verwundet zu werden.

Natalie hingegen rechtfertigte meine Hoffnungen im vollkommensten Grade, sie interessirte sich für alles Gute, nahm allen Unterricht mit freudiger Bereitwilligkeit auf, gehorchte auf den Wink, und machte es sich zur Aufgabe, meinen Wünschen zuvor zu kommen. Unbeschreiblich lieb war es mir, daß sie noch ein vollkommenes Naturkind war und bis dahin weder Unterricht noch Dressur bekommen hatte, was den Vortheil für sie hatte, daß ihr Gemüth, rein wie neues Pergament, alle Züge des Unterrichtes rein aufnahm und klar zurück strahlte. Ehe sie noch lesen konnte, lehrte ich sie deutsche und französische Hymnen, Fabeln, Romanzen, von denen sie einige so schön declamiren konnte, daß alle Hörer entzückt waren. Mein Bestreben, ihr Begriffe von Gott und der menschlichen Bestimmung beizubringen, gelang so wohl, daß sie in kurzem alle Hauptlehren des Christenthums in ihren eigenen Worten darstellen und auf jede Frage des Katechismus richtig antworten konnte. Ich lehrte sie aber auch beten, wie mein Vater es mich gelehrt hatte: nämlich das Bedürfniß, Gott zu verehren, ihn zu lieben und von ihm geliebt zu werden, ihm zu danken, ihn zu empfinden und ihm seine