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Zweiunddreißigstes Kapitel.




Eigentlich sollte ich jetzt den letzten Strich an diese Skizzen in Form eines Argumentes thun, allein dadurch würde ich meinen Zweck verfehlen, weil das Motiv zu diesen Enthüllungen eigentlich im letzten Jahre meines Wirkens als Erzieherin liegt. Eine Biographie aber ohne Motiv wäre ganz dasselbe, was ein Bauwerk ohne Schlußstein. Das letzte Jahr meiner pädagogischen Laufbahn war das glücklichste, denn ich widmete es Deutschland, vorurtheilsfreien, gerechten Landsleuten, welche, nicht bestochen durch die verwickelten Beziehungen und geselligen Interessen der Engländer, mich beurtheilten und behandelten, wie sie mich fanden. Indessen ich habe Wahrheit und Gerechtigkeit mir zum strengen Gesetze gemacht und werde unter keiner Bedingung davon abweichen. Unter allen Nationen liebe ich die deutsche am meisten, wenn ich mich daher gezwungen fühle, einige sehr ungünstige Situationen, unter ihnen erlebt, zu schildern, so geschieht dies nicht, um mein Volk herabzusetzen, sondern um zu zeigen, daß auch in Deutschland die Stellung einer Erzieherin in manchen vornehmen Häusern eine sehr zweifelhafte, ja unglückliche ist.

Im Monat August des Jahres 1854 wurde mir durch Frau v. K. in D*** die Gouvernanten-Stelle bei ihrer Schwiegertochter auf[WS 1] deren Rittergute S. im Herzogthume B. angeboten. Frau v. K. rühmte die Gediegenheit des Charakters ihrer Schnur und deren Erziehungs-Systems unendlich, sie entwarf ein so entzückendes Gemälde von ihrer Enkelin Mathilde, daß ich ausrief: O, dieses Kind muß ja ein Engel sein! In Erwägung des psychischen Glückes und der vielen materiellen Vortheile, welche Frau von K. nicht ermangelte in Evidenz zu stellen, wurde mir freilich ein sehr geringer Gehalt geboten, obwohl keine einzige der früheren Erzieherinnen dieser Familie, wie der jetzt sich meldenden sich nur entfernt mit mir messen konnten. Aber vor der Legion der ersteren, welche aus aller Herren Länder in diesem Hause bereits gedient hatten, stiegen mir unheimliche Gedanken auf; jedoch

ich schlug sie mir gewaltsam aus dem Sinne, und die Finanzfrage erledigte ich mit dem idyllisch-bucolischen Gedanken: Was ist Geld und Glanz gegen das Glück, mit edeldenkenden, gebildeten Menschen umzugehen!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. im Original „auf“ doppelt