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In D*** lernte ich die russische Generalin U. kennen, welche in Warschau eine große Rolle spielte, jetzt aber trotz ihres großen Vermögens mit ihrer Tochter und polnischen Kammerfrau eine kleine Etage bewohnte. Um mich von ihrer eigenen strengen Sittlichkeit zu überzeugen, engagirte sie mich nur unter der Bedingung, daß ich ein obrigkeitliches Zeugniß meiner Unbescholtenheit beibringe. Natürlich hielt ich sie für einen Tugendspiegel, schaffte das Attestat herbei und trat meinen Dienst als Erzieherin ihrer Tochter an. Aber, o Himmel! in meinem Leben hatte ich nicht ein so entzündbares Fleisch und Blut, oder vielmehr Haut und Knochen gesehen, wie diese russische Hocharistokratin. Semiramis, Kleopatra und Melusine war hier in einer Person vereinigt, ich sah eine Oberpriesterin der Göttin von Amathunt vor mir, eine Repräsentantin der alleinseligmachenden Religion Aphroditens, welche die gesammte Männerwelt in ihren erbarmenden Busen nahm,

Und in der Lieb’ ein Ungeheuer
Auf einmal Millionen küßt.

Ich sollte ihren geflügelten Liebesboten spielen, und wirklich hatte ich schon mehrere ihrer zärtlichen Billete besorgt, als ich deren Inhalt erst ahnen lernte. Bei dem nächsten derartigen Auftrage, den sie mir ertheilen wollte, erklärte ich ihr jedoch offen, daß dergleichen Abenteuer in **sen keineswegs angebracht seien und sie doch ihren Ruf schonen möge. Sie entgegnete mir kalt lächelnd: „Allerdings für Sie nicht, aber ich mit meinem Geld und Rang kann thun, was ich will, und Jedermann wird sich durch meinen Umgang noch geehrt fühlen, ja Ihnen den Krieg erklären, wenn Sie sich mir widersetzen sollten.“

„Sie vergessen, erwiederte ich, daß wir nicht in Rußland sind und ich weder von Ihnen noch von Ihren Partisanen abhänge. Um Ihre Unterhändlerin abzugeben, brauchte ich kein besonderes Sitten-Zeugniß, und ich erkläre Ihnen, daß ich meinen Namen nicht hergebe, um Ihre erotischen Schwänke zu bemänteln.“

Das war das Finale meines Engagements bei der russischen Generalin U. in D***.