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stehen Notizen aus der kurzen Geschichte der Citadelle, welche auch den Namen jenes Herrschers trägt. Die Kirche der Festung steht auf einem offenen Platze und ist mit allem Prunke des griechischen Cultus geschmückt. Die Festung selbst nimmt einen Flächenraum von dreiviertel Stunden Umfang ein, gehört zu den größten, die ich gesehen, ist aber weit davon entfernt, den Eindruck der Unbesiegbarkeit hervorzubringen. Doch genug der Beschreibung von Tod und Verderben bringenden Gegenständen, sie können mich höchstens genug interessiren, um sie kennen zu lernen, aber die Erinnerung daran bleibt eine unheimliche.

Den Abend brachte ich mit meinen Freunden in einer aus Deutschen und Polen bestehenden Gesellschaft zu, was mir reichlichen Stoff zu Beobachtungen, Vergleichen und Folgerungen gewährte. – Ich beschränke mich jedoch auf die Bemerkung, daß Polen sehr nachteilig auf die Entwickelung des deutschen Charakters wirkt und daß sich keine Nationalität so schnell verwischt als die deutsche. Das kommt vielleicht gerade von der gerühmten deutschen Universalität her, welche sich viel damit weiß, daß sie die Vorzüge aller Nationen in sich vereinige, aber darum auch in nichts die erste Rolle spielt, denn wer alles sein will, kann in Keinem außerordentlich sein. Wahr ist es, daß deutsche Treue und Mannhaftigkeit in aller Welt bekannt waren, seitdem jene alemannischen Gesandten den römischen Cäsarenknechten sagten: Nulla gens in orbe terrarum fide atque virtute supra Germanos! Allein die Tugend wird eben leicht durch böse Beispiele verdorben, Treue und Mannhaftigkeit zumal. Jene Vergänglichkeit der deutschen Originalität mag dazu noch in dem schnellen Fassungsvermögen der deutschen Natur ihren Grund haben, wie auch in der gerade daraus entspringenden Vorliebe für alle Fremde. Daraus entwickelt sich eine Virtuosität, die sich darin gefällt, alles Treffliche möglichst vollkommen nachzuahmen, aber darüber nur zu leicht das eigene Gute verlernt. – Was mich betrifft, so entsteht den Polen mein Mitgefühl, oft meine Bewunderung[WS 1], allein mich ihren Sitten und ihrem Treiben zu accommodiren vermochte ich nicht. Ueberdies war mir der Anblick der russischen Wirthschaft fatal, auch empfand ich kein Gelüst, mich der rohen Willkür moskowitischer Sklaven

auszusetzen, deren Mißfallen man nur zu erregen braucht, um dem russischen Hauptprinzip, der Knute, zu verfallen. – Wahrlich, ich erröthete oft über den Eifer der deutschen Regierungsblätter, dem lieben deutschen Volke das Lob der Knechtschaft zu singen, den man selbst in meinen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: oft meine Bewunderung nicht