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Revolution gelieferte Schlacht bekannt ist, über Wiesen und Felder und Wald; das Schloß bietet sogar von Praga, der Weichsel und Schiffbrücke aus einen stattlichen Anblick. Auf der obersten Terrasse befindet sich der Länge des Schlosses nach eine schöne Linden-Allee von alten Bäumen, auf der zweiten ein Garten, die dritte zieht sich bis an den Strom hinab und ist mit einzelnen Garten-Anlagen, Gebüsch und Rasen bedeckt. In diesem alten Königsschlosse wohnt jetzt Fürst Paskewicz und die vielen Offiziere des Generalstabes. Auf dem Nordflügel des Schlosses befindet sich der Telegraph, der Warschau in ununterbrochener Verbindung mit dem kaiserlichen Schlosse zu St. Petersburg erhält und seine Nachrichten in drei Stunden dorthin befördert. Was würde der alte Polenkönig sagen, wenn er diese Russificirung erblickte?

Eine erwähnenswerthe Eigenthümlichkeit Warschaus ist sein Bewachungssystem. Es hat 20 Hauptwachen, auf jedem Platze und in jeder Straße sind wieder Wachtbuden, welche von Veteranen besetzt sind, die in ihrer grünen Uniform und mit langen Hellebarden bewaffnet, das Treiben des Volkes beobachten. Bemerkt einer dieser Aufpasser etwas, das ihm verdächtig vorkommt, so giebt er seinem nächsten Nachbar mit dem Spieße ein Zeichen, was so lange weiter befördert wird, bis es in die Hauptwache kommt. Diese Wachtbuden fallen dem Fremden sehr auf, und es bedarf keines mehrtägigen Aufenthaltes, um den Ankömmling zu überzeugen, daß er sich in einer militairischen Stadt befindet. Hier ist alles Regierungs-Institut und militairisch: Lehranstalten wie Feuerlöschanstalten, Theater wie Spione, Versorganstalten für Dienstboten wie Essenkehrer, Lampenputzer wie Straßenkehrer, ja sogar die öffentlichen Mädchen, denn ich sah verschiedene Male ganze Trupps käuflicher Schönheiten in Reihe und Glied durch die Straßen nach dem für sie eigens bestimmten Spitale treiben.

Aber trotz des fabelhaften Ueberwachungssystems, das sich wie ein großes Netz über Warschau ausbreitet, werden hier fortwährend bei eintretender Dunkelheit und selbst bei Tage Raub- und Mordanfälle verübt, so daß ein einzelner Mensch sich nicht ohne Gefahr in entlegene Straßen begeben kann. Alle Tage werden Menschen auf der Straße beraubt, bisweilen ganz ausgezogen, viele ermordet gefunden. Diese Unsicherheit kommt aber daher, wie man mich bestimmt versicherte, daß alle Sicherheitsbeamte, Budniks (Veteranen), Nachtwächter, Polizei und Militair sich auf Straßenraub legen, und zahllose Menschen werden von diesen