Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/335

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ihre Hoffnung aussprechen zu hören, daß das vielfräßige zweiköpfige Ungeheuer nun werde gedemüthigt werden. Damit Niemand jedoch den eigentlichen Kriegszustand erfahre, wurden alle Berichte darüber aus den Zeitungen geschnitten, ja selbst die Briefe, welche vom Auslande kamen, waren geöffnet worden, und diejenigen, welche eine politische Bemerkung oder Nachricht enthielten, erreichten nie den Ort ihrer Bestimmung.

An einem schönen Sonntage des Februar machte ich wieder einen Ausflug mit meinen neuen Freunden, wobei wir uns zunächst die Krakauer Straße entlang nach dem dreieckigen Sigismundplatze begaben, der nach dem alten Königsschlosse und dem Denkmale genannt ist. Das Schloß ist ein ganz schlichtes zweistöckiges Gebäude, welches durch nichts als durch einen ansehnlichen Thurm hervorsticht, aber demungeachtet nichts weniger als imposant aussieht. Zwei Haupteingänge sind in der Vorderseite, wo jeder von Wachtposten zurückgewiesen wird, der nicht Uniform eines russischen Ranges trägt oder nicht durch eine Karte beweist, daß er durch höheren Befehl berufen ist. Innerhalb des Schlosses sind mehrere geräumige, schlecht gepflasterte Höfe, die stets mit russischem Militair belebt sind und ganz das Ansehen von Kasernenhöfen haben. Es ist zu verwundern, daß Sigismund III., der Erbauer dieses Schlosses, welches die eine Seite des Platzes bildet, sich mit der Lage in Nähe einiger häßlichen Straßen begnügte, denn nach den Urkunden Warschaus war es das letzte Haus oder der Schlußstein bei der Erbauung der Stadt. Allerdings ist in späteren Jahrhunderten viel nachgebaut worden, aber es bildet doch immer mit der letzten Häuserreihe der alten Stadt einen spitzen Winkel, und mit ihm beginnt zugleich die schöne Krakauer Vorstadt. Demnach bildet es zugleich den Uebergang zu der neuen Stadt (nicht Neustadt). So häßlich die Lage des Schlosses von vorn ist, so reizend ist sie von der Rückseite, denn es steht auf dem äußersten Rande des zur Weichsel hinabführenden, hier über dreihundert Fuß hohen Abhanges, welcher sich in drei Terrassen abstuft. Den Vordergrund auf der rechten und linken Seite abgerechnet, welcher unten am Ufer mit häßlichen Hütten bedeckt ist, hat das Schloß eine reizende Aussicht über den mächtigen Strom, seine belebte Schiffbrücke, das weithin gedehnte Praga, den zur Festung gehörigen Brückenkopf, den Lustort Saska kepa – sächsische Insel –, das in stündiger Entfernung gelegene deutsche Dorf Grochow, was durch die bei ihm in der letzten