Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/334

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

mehrere Höfe und nach hinten einen angenehmen Garten besitzt. – Von 2 bis 4 Uhr arbeiteten wir, von 4 bis 6 war Erholung, beziehendlich Diner, von 6 bis 8 Uhr wieder Arbeitszeit.

Ich lernte in Warschau mehrere Gouvernanten und Hauslehrer kennen, welche sämmtlich in die Klage über die Kinderzucht und unwürdige Behandlung der Lehrenden einstimmten. Eines Tages wurde ich von einem beim Liceum angestellten deutschen Professor aufgefordert, zu einer Collecte beizutragen, welche er in Verbindung mit einem deutschen Arzte für eine deutsche Erzieherin machte. Er erzählte mir, daß er und sein Freund kürzlich durch einen Auflauf vieler Leute an eine Hausthüre gelockt worden sei, wo er eine ohnmächtig hingesunkene Frauensperson erblickt. Der Arzt habe sogleich aus der nächsten Apotheke ein belebendes Mittel herbeigeholt und die Bewußtlose zu sich gebracht. Ihre Geschichte war eine höchst traurige. Eine polnische Familie hatte sie aus Danzig mit sich auf das Land bei Warschau genommen, die Dame des Hauses war bald durch die Verliebtheit ihres Gatten gegen die Gouvernante zur unmäßigsten Eifersucht gereizt worden und hatte sie durch ihre Knechte körperlich mißhandeln lassen. Die Unglückliche hatte sich durch ihren tugendhaften Widerstand auch die Feindschaft ihres Herrn zugezogen, von allen Seiten gemißhandelt das Haus verlassen und war nach Warschau gekommen, um beim Consul und der russischen Behörde ihr Recht zu suchen. Allein ihre pflichtvergessene Herrschaft hatte sie solcher Vergehen beschuldigt, daß sie noch bestraft worden war. Ohne Geld, ohne Schutz und Empfehlung, war sie bald in nackte Armuth gerathen, und hatte bereits zwei Tage keine Nahrung gehabt, als sie in einem Zustande völliger Erschöpfung gefunden worden war. Die Collecte fiel glücklicher Weise so reichlich aus, daß sie nicht nur Reisegeld, sondern auch noch eine bedeutende Summe erhielt, so daß sie Warschau bald verließ. Solche und ähnliche Fälle kommen in Rußland täglich vor, und wenn ein Deutscher oder eine Deutsche Hiebe bekommt, so krähet kein Hahn darüber, während Engländer und Franzosen durchaus respectvoll behandelt werden, zwar nicht ihrer selbst, sondern ihrer respectiven Kriegsflotten wegen.

Da mein Aufenthalt in Warschau gerade in die Zeit fiel, wo die Westmächte sich mit der Türkei verbanden (zu Anfang des Jahres 1854), so hatte ich trotz der großen Vorsicht, welche die Polen wegen des Spionier-Systems der russischen Regierung beobachten, dennoch oft Gelegenheit,