Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/299

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

auszuschütten“. Eines Tages erzählte sie mir nicht ohne sichtliche Zufriedenheit, sie habe einen Spanier als Hauslehrer für ihre Kinder engagirt, zeigte mir auch seine Diplome als Professor der Philologie und Philosophie an der Universität Madrid, welches er in Folge der politischen Wirren hatte verlassen müssen. Er sollte noch an demselben Abend ankommen, Frau M. hatte sich auf’s schönste geschmückt, ein kostbares Spanier-Costüm sollte ihre Magerkeit verdecken, und schauspielernd wallte sie mit sichtlicher Ungeduld in den schönen Gemächern auf und ab.

Es war ein reizender Nachmittag im Juni, vor dem Schlosse hielt dasselbe Cabriolet, welches mich von der letzten Eisenbahn-Station nach Ph… gebracht hatte, der Lärm des Vorfahrens hatte mich an’s Fenster gelockt, und so sah ich einen der schönsten Männer aussteigen, der, nachdem er dem Bedienten sein Porte-Manteau übergeben, in das Schloß ging. Ich erkannte sofort den Spanier in ihm und hätte mich, um seine Bekanntschaft zu machen, gern dem Familienkreise angeschlossen, allein ich hatte das längst eingestellt und konnte es heute ohne spezielle Einladung nicht wagen. Gegen 11 Uhr kam H. zu mir und erzählte, daß Herr M. das Engagement des Professors gänzlich ignorire, ja diesem sofort die Thüre gewiesen habe. Hierauf hätte der Spanier Frau M.’s Briefe als Legitimation vorgezeigt und mit der schmerzlichsten Bestürzung gestanden, daß er für die weite Reise von London nach Ph… sein letztes Geld ausgegeben, dringend um die Erfüllung des Contractes gebeten; allein alles, was Herr M. bewilligt, war ein Nachtquartier, eine Mahlzeit und freie Rückreise bis zur Eisenbahn-Station am nächsten Morgen gewesen, weil diesen Abend kein Zug mehr ging. Miß H. versicherte, daß der Spanier wie ein Wahnsinniger in seinem Zimmer auf- und abgehe, wovon ich mich auch alsbald überzeugte, indem ich mich auf den Vorsaal verfügte. Mir blutete das Herz bei der Vorstellung von der Lage dieses Fremden, ich nahm mir vor, ihm das Reisegeld bis London vorzustrecken und dachte schon auf ein Palliativ für ein so demüthigendes Anerbieten. Dies, wie die Schritte des Unglücklichen, die in der Stille der Nacht herüberschallten, Schmerz über meine eigene Lage und Mitleid mit der fremden ließen mich erst gegen Morgen einschlafen. Der Lärm eines fortrollenden Wagens weckte mich bald, ich eilte an’s Fenster und sah ihn in der Richtung nach S… dahineilen, obgleich es erst fünf Uhr war. Trotz der fabelhaften Ruchlosigkeit, die in diesem Hause herrschte,