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als Geschenke ihrer Günstlinge herumzeigten. Mehrere Umstände wirkten zusammen, mich zum Gegenstand des Neides und Hasses sämmtlicher Damen des Institutes zu machen, hauptsächlich der, daß ich sehr glänzende Sprachzeugnisse erhielt, ja im Englischen sogar mehrere Engländerinnen übertraf, und im Gesange keine einzige sich nur entfernt mit mir messen konnte. Wenn ich mit meiner Theaterstimme sang und die Vorübergehenden lauschend stehen blieben, dann schossen sie Blitze und Dolche aus ihren Augen nach mir.

Da es zu Erlangung guter Engagements und Lehrstunden eben ungünstige Zeit war, so nahm ich ein Anerbieten auf drei Monate bei einem Landpfarrer, Herrn B. in B…, Grafschaft Kant, gegen ein sehr mäßiges Honorar an, besonders aber deßhalb, um möglichst schnell aus der Hölle des Institutes zu kommen. Aber niemals war das Incidit in Scyllam qui vult vitare Charybdim treffender anzuwenden, als diesmal auf mich. Die Familie bestand aus dem hochwürdigen Herrn B., seiner Gemahlin und einer achtzehnjährigen Tochter, meiner Elevin. In diesen hoffte ich religiöse, gebildete Menschen zu finden, unter denen ich kurze Zeit ruhig und zufrieden leben könnte; wie groß war daher mein Verdruß, als der alte Herr von sechszig Jahren mir auf die markirteste und beleidigendste Weise den Hof machte! Frau B., die ihren Schatz kennen mochte und ihm auf allen Schritten nachging, war eifersüchtig und ließ ihren Aerger an uns Beiden gleichmäßig aus, wofür er sie wieder in meiner und der Tochter Gegenwart auf das Kränkendste behandelte. Ich bemühete mich, Herrn B. durch ein ernstes und vernünftiges Betragen zu seiner Pflicht zurückzuführen, allein vergebens, Herr B. war nicht abzuweisen und genirte sich auch vor Niemanden. Sonntags Nachmittags las er uns regelmäßig schlüpfrige Bücher und häßliche Zweideutigkeiten vor, was ich nicht hindern konnte, da seine Familie es mit Lachen hinnahm. Fürwahr ein geistliches Haus! Meinem beharrlichen Widerstande setzte er endlich Rache entgegen, die ich in allen ihren Ergüssen viel leichter ertrug als seine Zärtlichkeit. Aber seine Gluth loderte immer von neuem auf und sollte bald zu einem entscheidenden Ausbruche gelangen. Ich war ungefähr zwei Monate in seinem Hause, als Herr B., da eben seine Gemahlin und Tochter ausgegangen waren, plötzlich in mein Zimmer trat. So erschrocken ich auch war, da ich über seine Absicht natürlich nicht in Zweifel sein konnte, schlüpfte ich doch schnell hinaus und lief die Treppe